Straße ins Nichts (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
bisschen korrupt sein, aber er hat die Sache auf den Punkt getroffen«, sagte ich.
»Was soll das heißen?«, sagte sie und zog eine Schnute.
»Keiner hat euch eure Geschichte abgekauft. Vachel Carmouche war jahrelang weg. Und ausgerechnet in dieser Nacht, als er zurückgekehrt ist, hat Ihre Schwester ihn umgebracht. Wegen irgendwelcher Sachen, die er ihr als Kind angetan hat?«
»Sind Sie bloß hergekommen, um mir das unter die Nase zu reiben?«
»Nein. Little Face Dautrieve hat mir gegenüber angedeutet, dass sie an dem Abend dort war. Aber mehr wollte sie nicht sagen. Was ist an dem Abend vorgefallen? Will Little Face möglicherweise jemanden decken?«
»Fragen Sie sie.«
»Wollen Sie das wirklich?«, sagte ich.
»Was denn?«
»Mich wie einen Feind behandeln? Wie jemanden, dem Sie nicht vertrauen wollen, jemanden, der Ihnen auf den Wecker geht?«
»Ich hab das nicht bös gemeint«, sagte sie.
»Geben Sie mir ein Dr. Pepper, ja?«
»Für uns gibt’s keinen Ausweg mehr, Dave. Meine Schwester wird sterben. Jemand muss für den Tod von diesem ekelhaften, alten weißen Dreckskerl büßen.«
Sie ging auf den knarrenden Laufplanken zum anderen Ende der Bar, kehrte mir den Rücken zu, sodass ich ihr Gesicht nicht sehen konnte. Das gleißend weiße Licht vom Parkplatz hüllte sie ein und ließ ihre Haarspitzen funkeln wie ein Seidengespinst. Sie nahm eine Rose aus einer grünen Flasche, die auf dem Regal mit den Schnapsflaschen stand, und musterte sie versonnen. Die Blütenblätter, welk und verfärbt wie ein Bluterguss, fielen von selbst ab und segelten zu Boden.
8
I ch kam an diesem Abend spät von der Arbeit heim. Alafair war in die Stadtbibliothek gegangen, und Bootsie hatte mir auf der Schiefertafel in der Küche eine Nachricht hinterlassen, in der sie mir mitteilte, dass sie zum Einkaufen war. Ich machte mir eine Tasse Kaffee, rührte Zucker hinein, setzte mich auf die hintere Treppe und beobachtete die Enten, die kleine Wellen auf dem Teich an der unteren Grenze unseres Grundstücks erzeugten.
Doch manchmal bekam mir die Einsamkeit nicht, schon gar nicht in dem Haus, in dem einst meine Familie zerbrochen war.
In der zunehmenden Dunkelheit konnte ich beinahe die Geister meiner Eltern sehen, die sich Tag für Tag aufs Neue verletzten, erbittert auf Cajun-Französisch miteinander stritten und sich gegenseitig ihre Sünden vorwarfen.
An dem Tag, an dem meine Mutter mit Mack, dem Bouree-Croupier, nach Morgan City gegangen war, hatte mein Vater im Garten neben dem Haus einen Hühnerstall zusammengenagelt. Macks Ford-Coupé, dessen Motor im Leerlauf vor sich hin tuckerte, stand auf der unbefestigten Straße, und meine Mutter hatte versucht, mit ihm zu reden, bevor sie mich seiner Obhut überließ.
Meine Vater achtete nicht auf ihre Worte, sondern blickte fortwährend zu Macks Auto, auf dessen Windschutzscheibe sich das Sonnenlicht spiegelte wie eine gelbe Flamme.
»Die kleine Knarre, die er hat? Du wirst schon sehn, was die ihm nutzt, wenn er den Fuß auf mein Grundstück setzt«, sagte er.
Es war ein kochend heißer Tag, der stechende Geruch nach frischem Teer hing in der Luft, und Staub stieg von einer Schotterstraße auf. Die Haut meines Vaters glänzte vor Schweiß, seine Adern waren prall geschwollen, und in seiner unbändigen Wut, zu der er fähig war, wenn er in seinem Stolz verletzt wurde, schien er förmlich seine Latzhose zu sprengen.
Ich saß auf der vorderen Treppe und wollte mir am liebsten die Ohren zuhalten, damit ich die Sachen nicht mit anhören musste, die meine Eltern zueinander sagten. Ich wollte Mack nicht sehen, der mit seinem Fedora, den zweifarbigen Schuhen und den Röhrenhosen an der Straße stand, nicht an den zweischüssigen Derringer mit dem Perlmuttgriff denken, den ich einmal in seinem Handschuhfach gesehen hatte.
Aber mein Vater schaute von seinem Arbeitsplatz aus zu mir her, dann zu Mack und wieder zu mir, und im nächsten Moment wich die Anspannung aus seinem Gesicht, er legte den Rundhammer auf eine Bank, nahm die Seitenwand des Hühnerstalls zur Hand, überprüfte, ob alles im Lot war, und überzeugte sich von ihrer Stabilität. Ich schob die Hände unter die Oberschenkel, damit sie aufhörten zu zittern.
Als meine Mutter mit Mack wegfuhr, dachte ich, unsere Familie wäre vielleicht trotzdem noch zu retten. Big Aldous, mein Vater, der stets grinsende, unbesonnene Bohrturmarbeiter und Raufbold, war nach wie vor mein Vater. Selbst in diesem Alter war mir klar, dass
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