Straße ins Nichts (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
er meinetwegen nicht handgreiflich geworden war. Und Mae, seine Frau, war nach wie vor meine Mutter. Ihrer Lebenslust wegen und weil sie mit der Trunksucht meines Vaters nicht klar kam, fiel sie auf schlechte Männer herein, aber sie selbst war nicht schlecht. Sie liebte mich, und sie liebte meinen Vater, sonst hätte sie sich nicht mit ihm gestritten.
Aber jetzt hatte ich es mit Leuten zu tun, die meine Mutter als Hure bezeichneten.
Ich hatte diesen Ausdruck noch nie zuvor in Zusammenhang mit meiner Mutter gehört. Zu Lebzeiten meiner Mutter arbeiteten Huren nicht für dreißig Cent die Stunde in Wäschereien oder als Bedienungen in Biergärten und Bars, die aus Brettern zusammengezimmert waren, und sie jäteten auch nicht für einen Sack Stangenbohnen die Gemüsegärten anderer Leute.
Wenn Clete Purcel nicht gewesen wäre, hätte ich diesem Steve Andropolis eine Kugel aus meinem .45er in den Rücken gejagt, weil er meine Mutter als Hure bezeichnet hatte. Vor meinem inneren Auge sah ich es immer noch vor mir. Ich sah ein nichtsnutziges, jämmerliches Wesen in Menschengestalt, das davonrannte, zu mir zurückblickte, den Mund zu einem stillen Schrei aufgerissen, die Arme vor dem blutroten Himmel ausgebreitet. Ich schaute auf meine Hand, die krampfhaft zusammengeballt war, den Zeigefinger, der sich in den Daumen bohrte.
Ich kippte meinen Kaffee in das Blumenbeet und rieb mir das Gesicht, versuchte die Müdigkeit zu vertreiben.
Bootsies Auto bog in die Auffahrt ein und hielt vor der Haustür. Dann hörte ich die Papiertüten knistern, als sie die Lebensmittel auslud und über die Galerie trug. Normalerweise wäre sie zur Rückseite der Hauses gefahren, aber wir hatten seit der Nacht, in der sie mich über ihr Verhältnis mit Jim Gable aufgeklärt hatte, nur wenig miteinander gesprochen.
Warum hatte ich mich so abfällig über ihn geäußert, als Bootsie und ich im Dunkeln dalagen? Es war so, als hätte ich ihr vorgehalten, dass sie sich mit einem Abartigen eingelassen hatte. Ralph Giacano, ihr zweiter Mann, hatte sie von Anfang an nur belogen, ihr weisgemacht, er wäre Betriebswirt mit einem Abschluss an der Tulane, sei als Buchhalter tätig und zu fünfzig Prozent an einem Glücksspielautomatenvertrieb beteiligt, war genau genommen jedoch ein eher langweiliger, ganz gewöhnlicher, dafür aber anständiger, mittelständischer Unternehmer in New Orleans.
Buchhalter war er schon, aber als Erbsenzähler für den Mob, und die anderen fünfzig Prozent von dem Glücksspielautomatengeschäft gehörten Didi Gee.
Sie musste nach Miami fliegen und die Leiche identifizieren, nachdem die Kolumbianer Ralphs Gesicht in Fetzen geschossen hatten. Zudem erfuhr sie, dass seine tote Geliebte eine Bankangestellte gewesen war, die ihr Haus im Garden District mit einer zweiten Hypothek belastet und Ralph dabei geholfen hatte, ihre Konten zu plündern, einschließlich der fest verzinslichen Anlagewerte, die die Bank für sie verwaltete.
Sie war betrogen, gedemütigt und ruiniert worden. War es da ein Wunder, dass sie sich mit jemandem wie Gable einließ, einem Polizisten, der einen hohen Rang bekleidete, einen ehrlichen Eindruck machte?
Bootsie stieß die Fliegendrahttür hinter mir auf und blieb auf der obersten Treppenstufe stehen. Aus dem Augenwinkel nahm ich nur ihre Knöchel und die Oberseite ihrer Füße wahr, die in Mokassins steckten.
»Hast du schon was gegessen?«, sagte sie.
»Ich habe mir den Kartoffelsalat aus dem Kühlschrank genommen.«
»Möglicherweise musst du eine Meile mehr laufen als sonst«, erwiderte sie.
Ich stützte mich auf die Unterarme, beugte mich vor und faltete die Hände zwischen den Knien. Die Enten zogen auf dem Teich ihre Kreise, flatterten mit den Flügeln und spritzten mit Wasser um sich.
»Meiner Meinung nach bist du eine großartige Frau, Boots. Ich glaube nicht, dass irgendein Mann dich verdient. Ich jedenfalls nicht«, sagte ich.
Der letzte Lichtschein am Himmel war verschwunden; der Wind, der über das Zuckerrohrfeld meines Nachbarn wehte, war mit Regen durchsetzt und roch nach feuchter Erde und den Wildblumen, die entlang des Bachlaufes wuchsen. Bootsie setzte sich hinter mich auf die Treppe, dann spürte ich ihre Fingerspitzen am Nacken und in meinen Haaren.
»Möchtest du reingehen?«, fragte sie.
An diesem Abend schlug das Wetter um, es wurde für die Jahreszeit ungewöhnlich kalt, und heftiger Regen setzte ein, der in dichten Schleiern über die Marschen, die Zuckerrohrfelder,
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