Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika
Türen ihrer Läden traten, um das Geschehen zu verfolgen, hielt Dad endlich am Straßenrand und verkündete ernst: »Es hat keinen Zweck. Wir sollten jemanden nach dem Weg fragen.« Er sagte es in einem Ton, als hätte er die ganze Zeit nichts lieber getan als das.
Wir atmeten erleichtert auf. Leider war es nur selten mehr als ein halber Durchbruch. Denn nun würde entweder meine Mom aus dem Wagen steigen, sich an einen unverkennbar ortsfremden Passanten wenden – für gewöhnlich eine Nonne aus Costa Rica, die im Rahmen eines Austauschprogramms die Stadt besuchte – und mit einer hoffnungslos verworrenen Wegbeschreibung zurückkommen, oder mein Vater würde aus dem Wagen steigen und überhaupt nicht zurückkommen. Mein Vater war nämlich ein großer Schwätzer, was bei Leuten, die sich häufig verfahren, zu einem Problem werden kann. Auf der Suche nach jemandem, der ihm den Weg zum Giant Fungus State Park beschreiben konnte, würde er in ein Café gehen, in aller Ruhe eine Tasse Kaffee trinken und mit dem Besitzer ein Schwätzchen halten. Oder der Besitzer würde ihn in seinen Keller führen, um ihm seinen neuen Klärbehälter oder Ähnliches zu zeigen. In der Zwischenzeit saßen wir im langsam vor sich hin schmorenden Auto, wo uns nichts anderes zu tun übrig blieb, als zu schwitzen und zu warten und teilnahmslos einem Fliegenpärchen zuzusehen, das auf dem Armaturenbrett kopulierte.
Irgendwann tauchte mein Vater dann wieder auf, wischte sich ein paar Krümel vom Mund und sah richtig munter aus. »Verflixt nochmal«, würde er durchs offene Autofenster zu meiner Mutter sagen, »da drin sammelt einer falsche Zähne. Er hat über 700 in seinem Keller. Der war so froh, dass er sie mal jemandem zeigen konnte, dass ich unmöglich Nein sagen konnte. Und dann wollte seine Frau unbedingt, dass ich ein Stück Blaubeertorte esse und mir die Fotos von der Hochzeit ihrer Tochter ansehe. Den Giant Fungus State Park kennen sie auch nicht, aber der Mann sagte, sein Bruder in der Conoco-Tankstelle an der Ampel dahinten wüsste bestimmt Bescheid. Der sammelt übrigens Keilriemen und hat die größte Sammlung von Keilriemen aus der Vorkriegszeit im nördlichen Mittleren Westen. Da gehe ich mal eben hin.« Und bevor einer von uns ihn daran hindern konnte, war er schon verschwunden. Als wir ihn dann endlich
wieder zu Gesicht bekamen, kannte mein Vater die halbe Stadt, und die Fliegen auf dem Armaturenbrett hatten einen Wurf Junge zur Welt gebracht.
Schließlich fand ich, wonach ich gesucht hatte: Winterset, der Geburtsort von John Wayne. Nun musste ich nur noch sein Haus ausfindig machen. Das Städtchen ist jedoch so klein, dass ich schon eine Minute später davorstand. Ich besah es mir vom Auto aus. Es war winzig, und die Farbe blätterte ab. Wayne – Marion Morrison, wie er damals hieß – lebte dort nur ungefähr ein Jahr lang, dann siedelte seine Familie nach Kalifornien um. Inzwischen ist das Haus ein Museum, das allerdings an jenem Tag geschlossen war. Das überraschte mich nicht sonderlich, denn in Winterset war so ziemlich alles geschlossen, und zwar zum Teil endgültig, wie mir schien. Das Iowa Movie Theater war eindeutig nicht mehr in Betrieb. Auf seiner Anzeigetafel herrschte gähnende Leere. Und auch viele Geschäfte wirkten verlassen und aufgegeben. Ein deprimierender Anblick, denn Winterset mit seinem Gerichtsgebäude und den langen, von viktorianischen Häusern gesäumten Straßen war ein wirklich hübsches kleines Städtchen. Jede Wette, dass es hier, wie in Winfield, vor fünfzehn oder zwanzig Jahren noch ganz anders ausgesehen hat. Mit einem Gefühl der Leere fuhr ich zum Highway zurück.
In jeder Stadt, durch die ich kam, bot sich mir dasselbe Bild – abblätternde Farbe, verlassene Geschäfte, Totenstille. Es war nicht zu übersehen, dass der Südwesten Iowas von jeher der ärmste Teil des Staates war. Ich fuhr durch, ohne anzuhalten, denn es gab nichts, das das Anhalten lohnte. Ich entdeckte nicht einmal ein Lokal, in dem ich eine Tasse Kaffee hätte trinken können. Schließlich fand ich mich ganz unerwartet auf einer Brücke über dem Missouri wieder, und dann war ich in Nebraska City, in Nebraska. Und was ich sah, gefiel mir. Es war sogar ausgesprochen nett – viel angenehmer als in Iowa, wie ich beschämt gestehen muss. Die Städte wirkten wohlhabender und
gepflegter, und überall standen Sträucher am Straßenrand, aus denen eine verschwenderische Fülle cremefarbener Blüten hervorquoll. Es war
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