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Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika

Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika

Titel: Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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Aufregendste, das dieser Staat zu bieten hat.
    Als ich älter wurde, habe ich mich oft gefragt, wieso sich überhaupt Menschen in Nebraska niedergelassen haben. Was ich sagen will: Die ersten Siedler sind mit ihren Planwagen quer durch Amerika gezogen und müssen auch durch Iowa gekommen sein, durch das grüne, fruchtbare Iowa, in dem es, wie gesagt, sogar einen Berg gibt. Und was tun sie? Kurz bevor sie das grüne, fruchtbare Colorado erreicht haben, durch das sich eine ganze Gebirgskette zieht, lassen sie sich ausgerechnet in dieser platten, braunen, stoppeligen Gegend voller Präriehunde nieder. Das will mir einfach nicht in den Kopf. Wissen Sie, woraus die ersten Siedler ihre Häuser bauten? Aus getrocknetem Schlamm. Und was passierte mit diesen Schlammhäusern,
sobald die alljährliche Regenzeit losbrach? Genau, sie wurden geradewegs in den Platte River gespült.
    Lange Zeit war ich mir im Unklaren, ob die ersten Siedler in Nebraska verrückt oder einfach nur dumm waren. Dann erlebte ich an einem Samstag ein Footballstadion voller Fans der University of Nebraska und begriff, dass sie wohl beides gewesen sein müssen. Vielleicht bin ich darin nicht mehr auf dem Laufenden, aber als ich Amerika verließ, spielte die University of Nebraska weniger Football – sie veranstaltete vielmehr allwöchentlich ein rituelles Schlachtfest, bei dem sie ihre glücklosen Gegner mit Punkteständen wie 58:3 in Grund und Boden stampfte. Die meisten Schulen schicken dagegen einen Trupp magerer Erstsemester aufs Spielfeld, sobald sie ihre Führung ausgebaut haben. Sie lassen sie in ihrem blitzsauberen Mannschaftsdress ein bisschen über das Feld rennen, zum einen, damit auch sie ein wenig schmutzig werden, vor allem aber, um den Verlierern die Chance zu geben, ihr Punktekonto auf einen erträglichen Endstand zu bringen. Das nennt man Fair Play.
    Nicht so in Nebraska. Die University of Nebraska würde Flammenwerfer einsetzen, wenn es erlaubt wäre. Nebraska beim Footballspielen zuzusehen war, als würde man Hyänen dabei beobachten, wie sie über eine Gazelle herfielen. Es war anstößig und unsportlich. Und natürlich konnten die Fans nicht genug davon bekommen. Bei einem Spielstand von 66:0 mitten unter ihnen zu sitzen und mitzuerleben, wie sie nach immer mehr Blut schrien, war äußerst beängstigend, vor allem, wenn man bedenkt, dass vermutlich viele dieser Leute beim Strategic Air Command in Omaha arbeiteten. Sollte der Staat Iowa jemals den Zorn Nebraskas auf sich ziehen, wäre ich ganz und gar nicht überrascht, wenn sie mit Atomwaffen auf uns losgingen. All das ging mir an diesem Morgen durch den Kopf und beunruhigte mich doch ziemlich, wie ich zugeben muss.
    Ich war wieder unterwegs. On the road again. Es war kurz nach 7.30 Uhr an einem strahlenden, wenn auch noch recht winterlichen
Montagmorgen im April. Ich verließ Des Moines in Richtung Westen über die Interstate 80, um durch die Westhälfte von Iowa zu brausen und mich dann in den Staat Nebraska hineinzuwagen. Doch noch konnte ich Nebraska nicht betreten, nicht so früh am Morgen. Also fuhr ich bei De Soto, nur fünfzehn Meilen westlich von Des Moines, von der Interstate ab und juckelte über die Nebenstraßen. Innerhalb kürzester Zeit hatte ich mich verfahren, was mich nicht im Geringsten wunderte. Schließlich sind wir Brysons darauf spezialisiert, uns zu verfahren.
    Wenn mein Vater hinterm Steuer saß, irrte er fast immer hilflos durch die Gegend. Meistens hatte er nur etwas die Orientierung verloren, aber sobald wir uns unserem Ziel näherten, verfuhr er sich hoffnungslos. Im Allgemeinen dauerte es eine Stunde, bis er einsah, dass er nicht mehr nur ohne Orientierung durch die Gegend eierte, sondern sich ganz und gar verfranzt hatte. Eine Stunde lang kurvte er dann in der fremden Stadt herum, bog unversehens rechts, dann wieder links ab, wurde angehupt, weil er in Einbahnstraßen in die falsche Richtung fuhr oder zögernd mitten auf belebten Kreuzungen stehen blieb. Währenddessen machte meine Mutter immer wieder vorsichtig den Vorschlag, wir sollten doch anhalten und jemanden nach dem Weg fragen. Eine Anregung, die mein Vater geflissentlich überhörte. Stattdessen kurvte er nur noch verbissener durch die Straßen, in diesem fast zwanghaften Geisteszustand, in den Väter leicht verfallen, wenn die Dinge nicht so laufen, wie sie sollen.
    Nachdem er dann so oft in der falschen Richtung durch ein und dieselbe Einbahnstraße gefahren war, dass die Händler in die

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