Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika
und sehen dabei irgendwie misstrauisch und wachsam aus, als wären sie stets bereit, gleich jemanden zu erschießen, wenn es nötig sein sollte. Die Leute im Westen schießen ausgesprochen gern. Die ersten, die sich dort niederließen, schossen auf Büffel. (Viele Leute werden Ihnen sagen, dass es sich hier nicht um Büffel, sondern um Bisons handelt. Büffel, so die Leute, leben in China und anderen entlegenen Ländern dieser Erde und gehören einer ganz anderen Rasse an. Es sind dieselben Leute, die ihnen weismachen wollen, dass man Geranien nicht Geranien, sondern Pelargonien nennt. Hören Sie einfach nicht hin.) Bis die Bewohner des Westens begannen, sie abzuschlachten, lebten in der Prärie 70 Millionen Büffel. Büffel sind nichts anderes als Kühe mit großen Köpfen. Wer einmal einer Kuh in die Augen geschaut und das unerschütterliche Vertrauen und die unbeschreibliche Dummheit darin erblickt hat, wird sich vorstellen können, welch eine große Heldentat es gewesen sein
muss, die Büffel aufzustöbern und abzuknallen. Bis 1895 hatten sie ganze 800 Büffel übrig gelassen. Die meisten gehörten zu Zoos und umherziehenden Wildwestshows. Als es keine Büffel mehr gab, die sie töten konnten, gingen die Westmänner dazu über, auf Indianer zu schießen und reduzierten ihre Zahl zwischen 1850 und 1890 von zwei Millionen auf 90 000. Gottlob haben sich sowohl die Indianer als auch die Büffel zahlenmäßig wieder erholt. Heute leben in Amerika 30 000 Büffel und 300 000 Indianer. Da es inzwischen gesetzlich verboten ist, auf sie zu schießen, bleibt den Leuten nichts anderes übrig, als sich gegenseitig abzuknallen oder Straßenschilder als Zielscheiben zu missbrauchen, was sie denn auch zur Genüge tun. So weit der geschichtliche Abriss über den amerikanischen Westen.
Wenn sie nicht gerade wild um sich schossen, gaben sich die Leute im Wilden Westen in Städten wie Dodge City den verschiedensten Lustbarkeiten hin. In ihrer Blütezeit war Dodge City die größte Viehtreiberstadt und das sündigste Pflaster im Westen. Es wimmelte von Taugenichtsen, Viehtreibern, Büffeljägern und jener Sorte Frauen, die nur ein Cowboy attraktiv finden konnte. Aber ein so heißes und gefährliches Pflaster, wie es uns all die vielen Filme über Bat Masterson und Wyatt Earp glauben machen wollen, ist die Stadt nie gewesen. Zehn Jahre lang war sie der größte Viehmarkt der Welt, nicht mehr und nicht weniger.
In all den Jahren sind auf dem Boot-Hill-Friedhof nur vierunddreißig Menschen beigesetzt worden. Bei den meisten handelte es sich um Landstreicher, die man erfroren im Schnee gefunden hatte, oder um Personen, die eines natürlichen Todes gestorben waren. Das erfuhr ich, als ich 2,75 Dollar investierte, um Boot Hill und die benachbarte »Historic Front Street« zu besichtigen. Letztere präsentierte sich wie in den Tagen, als Dodge City noch eine Grenzstadt und Bat Masterson und Wyatt Earp noch ihre Sheriffs waren. Einen Matt Dillon hat es nie gegeben, wie ich bekümmert feststellen musste. Dafür waren Bat Masterson
und Wyatt Earp umso realer. Ich erfuhr, dass Bat Masterson als Sportredakteur des New York Morning Telegraph starb und dass Wyatt Earp ursprünglich aus Pella stammte, der kleinen Stadt mit den vielen Windmühlen in Iowa. Ist das nicht interessant?
Fünfzig Meilen von Dodge City entfernt liegt Holcomb, Kansas, das als Schauplatz der in Truman Capotes Roman Kaltblütig detailliert geschilderten Morde traurige Berühmtheit erlangte. 1959 brachen zwei Schmalspurganoven in das Haus eines wohlhabenden Ranchers namens Herb Clutter ein, weil sie in dessen Safe jede Menge Geld vermuteten. Als sie feststellen mussten, dass der Safe leer war, vergaßen sie sich vor Wut, fesselten Clutters Frau und seine zwei Kinder an die Betten, schleppten ihn in den Keller und brachten die ganze Familie um. Sie schlitzten Clutter die Kehle auf (Capote beschrieb diese Szene beunruhigend genüsslich) und töteten Frau und Kinder mit Kopfschüssen aus nächster Nähe. Da Clutter auf staatspolitischer Ebene eine bekannte Persönlichkeit war, widmete die New York Times dem Verbrechen einen kurzen Artikel. Als Capote den Artikel in die Hände bekam, war er so fasziniert, dass er fünf Jahre lang alle Hauptbeteiligten befragte – Freunde, Nachbarn, Verwandte, die ermittelnden Polizeibeamten und die Mörder selbst. Das Buch erschien 1965 und galt sofort als Klassiker, was vor allem daran lag, dass Capote es als solchen vermarktete. Auf jeden
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