Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika
den Autowerken von Detroit. Sie waren in einem erbärmlichen Zustand. Die Zierleisten waren entweder ganz ab oder klapperten lose im Fahrtwind. Jedes Fahrzeug hatte mindestens eine nicht zum Wagen passende Tür, und irgendein sicher nicht unwichtiges Metallteil hing vom Fahrgestell herab und schleifte auf der Straße, dass die Funken sprühten. Bei ungefähr vierzig Meilen pro Stunde schienen die Wagen ihre Höchstgeschwindigkeit erreicht zu haben. Da sie jedoch unberechenbar über den Highway schlingerten, war es jedes Mal schwierig, sie zu überholen.
Gelegentlich kamen sie so weit von der Fahrbahn ab, dass sie den Wüstensand aufwirbelten, und ich nutzte die Gelegenheit und schoss an ihnen vorbei. Es war immer dasselbe Bild: ein mit indianischen Männern und Jungen voll gestopfter Wagen, der Fahrer mit dem verklärten Gesichtsausdruck eines fast bis zur Besinnungslosigkeit betrunkenen Mannes, der sich bestens amüsierte.
Bei Page, Arizona – die Stadt am Glen-Canyon-Staudamm – überquerte ich die Staatsgrenze von Utah, und fast schlagartig änderte sich das Landschaftsbild. Die Berge färbten sich blasslila und rot, und auch die Wüste nahm eine rötliche Färbung an. Nach wenigen Meilen verdichtete sich das Gestrüpp, und die
Berge wurden dunkler und kantiger. Es war eine merkwürdig vertraute Landschaft. Ich nahm meinen Reiseführer zur Hand und las, dass hier unzählige Hollywoodwestern gedreht worden waren. Mehr als einhundert Film- und Fernsehgesellschaften hatten Kanab, die nächstgelegene Stadt an der Straße, zu ihrem Hauptquartier für Außenaufnahmen gemacht.
Das interessierte mich. Um mehr darüber zu erfahren, hielt ich in Kanab und ging in ein Café. Aus dem Hintergrund rief jemand, er stehe in einer Minute zur Verfügung. Ich warf unterdessen einen Blick auf die Speisekarte an der Wand. Es war die eigenartigste Speisekarte, die ich je gesehen habe. Die Gerichte waren mir völlig unbekannt: Kartoffelstämme (»small, medium and family size«), Käsestangen für 89 Cent, Pizzataschen für 1,39 Dollar, Oreo-Shakes für 1,25 Dollar. Als Tagesgericht war im Angebot »8 oz log, roll and slaw, 7,49 Dollar«. Ich entschied mich für eine Tasse Kaffee. Die Wirtin kam herein und wischte sich die Hände an einem Handtuch ab. Sie nannte mir einige der Filme und Fernsehshows, die in der Umgebung von Kanab gedreht worden waren: Duell in Diablo, Zwei Banditen, Flicka, Der Schütze und einige Filme mit Clint Eastwood. Ich wollte wissen, ob die Hollywoodstars die Kartoffelstämme und Käsestangen probiert hätten. Sie schüttelte traurig den Kopf und verneinte, was mich nicht sonderlich erstaunte.
Ich übernachtete in Cedar City und fuhr am nächsten Morgen zum Bryce Canyon National Park, der sich hinter dichtem Nebel und Schnee verborgen hielt. Missmutig fuhr ich weiter zum Zion National Park, der mich wiederum mit sommerlichem Wetter überraschte. Das war mehr als sonderbar, denn die beiden Parks liegen nur etwa vierzig Meilen voneinander entfernt, und dennoch schienen sie sich, was das Klima betraf, auf zwei verschiedenen Kontinenten zu befinden. Selbst wenn ich ewig leben würde, wäre es mir wohl nicht vergönnt, das Wetter des Westens zu verstehen.
Zion war unglaublich schön. Während man im Grand Canyon von oben die Felswände hinunterschaut, steht man in Zion zu ihren Füßen und blickt hinauf. Zion ist ein langer, vegetationsreicher Canyon. Auf seinem Grund wachsen Unmengen von Pyramidenpappeln, umgeben von hoch aufragenden Wänden aus kupferfarbenem Gestein. Hier und da rinnt ein langer, schmaler Wasserfall aus den Felsen und stürzt Hunderte von Metern in die Tiefe, wo sich das Wasser in natürlichen Becken sammelt oder sich in den ungestümen Virgin River ergießt. Am entfernten Ende der Schlucht verengen sich die Felswände bis auf wenige Meter, und aus den Rissen im feuchten, schattigen Gestein sprießen Pflanzen und erwecken den Eindruck von hängenden Gärten. Es war sehr malerisch und exotisch.
Die steilen Felswände zu beiden Seiten sahen aus, als könnten jeden Augenblick Felsbrocken herausbrechen – was denn auch gelegentlich geschieht. Auf halber Höhe des Weges war der kleine Fluss mit zum Teil haushohen Gesteinsblöcken übersät. Auf einem Schild las ich, dass am 16. Juli 1981 mehr als 15 000 Tonnen Felsgestein aus einer Höhe von 300 Metern in den Fluss gekracht waren. Dem Schild war nicht zu entnehmen, ob die Gesteinsmassen auch Menschen unter sich begraben hatten. Das dürfte
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