Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika
allerdings sehr wahrscheinlich sein. Selbst jetzt im April waren auf dem Weg eine ganze Menge Leute unterwegs, im Juli müssen es Hunderte gewesen sein. Ein paar von ihnen wird es wohl erwischt haben. Wenn es hier Felsbrocken hagelt, gibt es kein Entrinnen.
Ich war noch in Gedanken bei dem tragischen Ereignis, als ich plötzlich ein störendes Surren neben mir bemerkte. Es war ein Mann, der das Gestein mit seiner Videokamera filmte. Es handelte sich um eines der ersten, primitiven Modelle. An seinem Körper festgeschnallt trug der Mann die verschiedensten Netz- und Zubehörteile mit sich herum, und die Kamera selbst war enorm groß. Ebenso gut hätte er einen Staubsauger mit in die Ferien nehmen können. Er sah ziemlich erschöpft aus. Geschah
ihm ganz recht. Ich kaufe nie etwas, das ich nicht meine Kinder schleppen lassen kann. Aber wie anstrengend es auch sein mochte, nun hatte er die Kamera für teures Geld erstanden, nun musste er auch filmen, was immer ihm vor die Linse kam, und wenn er sich dabei einen Bruch heben sollte (und war das erst passiert, müsste natürlich seine Frau die Operation filmen).
Ich verstehe die Leute nicht, die immer das Neuste vom Neusten kaufen müssen. Es lag doch auf der Hand, dass der Hersteller ein Jahr später ein winziges Leichtgewicht auf den Markt bringen würde, und zwar zum halben Preis. Und sie stehen dann da wie die Idioten. Wie die Leute, die 200 Pfund für die ersten Taschenrechner bezahlt haben, um sie dann ein paar Monate später an Tankstellen zu verschenken. Oder wie die Leute, die sich gleich die ersten Farbfernseher kaufen mussten.
Einer unserer Nachbarn, Mr. Sheitelbaum, kaufte sich einen solchen Farbfernseher im Jahre 1958, zu einer Zeit also, in der nur etwa zwei Sendungen im Monat in Farbe ausgestrahlt wurden. Wenn eine dieser Sendungen lief, sahen wir immer heimlich vom Fenster aus zu. Es war immer dasselbe – die Leute hatten orangene Gesichter, und die Farbe der Kleidung wechselte ständig. Und immer wieder tauchte Mr. Sheitelbaum vor dem Gerät auf und fummelte an den zahllosen Knöpfen herum, während er von seiner Frau aus dem Hintergrund lautstark unterstützt wurde.
Für ein Weilchen blieb die Farbe dann einigermaßen akzeptabel – nicht unbedingt naturgetreu, aber auch nicht zu störend –, aber dann, sobald es sich Mr. Sheitelbaum wieder auf dem Sofa bequem gemacht hatte, spielte die Technik aufs Neue verrückt, und wir sahen grüne Pferde und rote Wolken. Und wieder saß Mr. Sheitelbaum vor dem Bedienungsfeld. Es war hoffnungslos. Da er aber nun einmal eine so horrende Summe für das Gerät bezahlt hatte, würde sich Mr. Sheitelbaum nie von ihm trennen. So sahen wir ihn auch noch fünfzehn Jahre später an den Kontrollknöpfen herumfummeln und hörten ihn
schimpfen, wann immer wir an seinem Wohnzimmerfenster vorbeikamen.
Am späten Nachmittag fuhr ich weiter nach St. George, eine kleine Stadt unweit der Staatsgrenze. Ich nahm ein Zimmer im Oasis Motel und aß in Dick’s Café zu Abend. Anschließend machte ich einen Stadtbummel. Obwohl St. George überwiegend aus Neubauten bestand, verbreitete es die angenehme Atmosphäre einer alten Stadt. Zwei Gebäude waren tatsächlich alt – das Gaiety Movie Theater (»2 Dollar auf allen Plätzen«) und der Dixie Drugstore nebenan. Der Drugstore war geschlossen, doch der Anblick einer soda-fountain in seinem Inneren ließ mich innehalten. Es war eine echte, mit Marmor verkleidete soda-fountain, eine Erfrischungsbar mit Barhockern und einzeln in Papier verpackten Strohhalmen – diese Art von Papierhüllen, die man an einem Ende aufreißen und dann in einem eleganten Bogen quer durch die Kosmetikabteilung pusten konnte.
Ich war am Boden zerstört. Dies musste so ungefähr der letzte Drugstore mit einer echten soda-fountain in ganz Amerika sein, und er war geschlossen. Ich hätte ganze Haufen von Dollars dafür gegeben, um hineingehen und ein green river soda oder ein chocolate soda bestellen zu können und ein paar Strohhalmpapierhüllen durch die Gegend zu pusten und den Nächstbesten zu einem Hockerwirbelwettkampf herauszufordern. Meine persönliche Bestleistung liegt bei vier ganzen Umdrehungen. Das hört sich vielleicht ein wenig mager an, aber es ist viel schwerer, als es aussieht. Bobby Wintermeyer hat einmal fünf Umdrehungen geschafft und musste sich danach übergeben. Es ist ein ziemlich halsbrecherischer Sport, glauben Sie mir.
An der Ecke stand eine große Mormonenkirche oder ein Tempel oder
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