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Straub, Peter

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Titel: Straub, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fremde Frau
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eine Dimension ihrer eigenen Persönlic h keit, oder ein Ausdruck ihrer gegenwärtigen guten Laune. »Ich liebe diesen Teil von Tours «, sagt sie überflüssigerweise und macht eine seitliche Geste mit der Hand, bei der die Finger abgespreizt sind. »Sieh doch, dort oben, diese – wie nennt man das? Mosaikarbeiten? Diese Mosaikarbeiten. Und ist dir aufg e fallen, wie sich die Türen verändert haben? « Sie geht gestik u lierend neben mir her.
    »Oh, hallo. «
    Dies gilt einem Gebäude, welches versetzt von den anderen steht und aus röterem Backstein als die umliegenden Häuser erbaut ist. Am zweiten und dritten Stock über der Straße ist ein Gitter aus braunen Balken zu sehen; es ist beinahe doppelt so breit wie die benachbarten Häuser.
    »Hallo. Wie sieht das deiner Meinung nach aus? «
    »Wie ein Theater «, sage ich. »Erinnert mich an eine Zeic h nung des Globe Theater in einem Kinderbuch, das ich einmal hatte. « Ich denke an das Holzfachwerk und die Größe des Bauwerks: Ich hätte ebenso leicht ein Tiroler Gasthaus oder eines der nachgeahmten chateaux nennen können, wie sie wohlhabende Einwohner in meiner Heimatstadt bauen. Aber ich habe nichts davon gesagt, ich habe gesagt, dass mich das alte Gebäude an das Globe Theater erinnert, und sie neigt sich lachend zurück.
    »Das Globe! Das Globe! Du bist so unglaublich! Nur du hast das sagen können. Nun, es ist kein Theater. Wirs t s chon sehen. « Sie versucht, eine große Holztür aufzuziehen. »Sobald wir die hier geöffnet haben, wirst du es sehen. «
    » Las es mich versuchen «, sage ich. Ich lege die Finger um den großen hölzernen Türgriff und ziehe. Die Tür öffnet sich krächzend ein paar Zentimeter. Ich ziehe noch einmal ke u chend, und die Tür öffnet sich ganz.
    »Du bist erstaunlich «, sagt sie. »Jetzt können wir hineing e hen. «
    Sie beugt sich hinab und betritt die klaffende Öffnung in dem Gebäude, die ich aufgetan habe. Als sie das linke Bein hindurchgezogen hat und die Kluft wieder frei ist, folge ich ihr, indem ich die Schultern neige und den Kopf einziehe. Ich spüre, wie der Balken über der Tür sanft meinen Kopf streift. Drinnen schaue ich mich verwirrt um, von einem unerwarteten Anfall räumlicher Desorientierung überkommen. Wir sind durch ein schmales Loch gekrochen, eine dunkle Tür; mein Körper erwartet Enge, schwarze Wärme. Stattdessen befi n den wir uns in einem weiten, schmutzigen Kopfsteinpflaster-Innenhof unter offenem Himmel. Drei Fensterreihen im ve r witterten Backstein der gegenüberliegenden Mauer starren irrsinnig herab; die meisten davon sind geborsten oder en t halten gar kein Glas mehr. Fachwerk erstreckt sich von den Fenstern zur Seite und nach unten, von einem Stockwerk zum anderen. Zwei der Innenwände sind, wie ich sehe, von Holzbalken gestützt. In dem gepflasterten Hof ist kein Laut zu hören.
    »Was, zum Teufel, ist das? « frage ich. »Ein altes Kranke n haus? «
    Die Frau steht mit überkreuzten Armen da, ihr Gesicht drückt eine seltsame Mischung aus Schmerz und Erwartung aus. Ihr satinähnliches Kleid glänzt in dem staubigen Innenhof. Ich gehe unentschlossen auf den groben Steinen hin und her, sehe zu den Fenstern empor, rede.
    »Vielleicht ein Gefängnis. Ein Exerzierhof. Ein Platz für Papillon, den schrecklichen Ganoven. « Während ich nach oben sehe und mich drehe, stelle ich fest, dass drei Seiten des Hofs von dem Bauwerk begrenzt werden. Wir sind nicht, wie ich gedacht habe, von den graugelben Mauern umgeben, die wir in diesem Stadtteil passiert haben, sondern von zweifachen Wiederholungen des Gebäudes an gegenüberliegenden Seiten des Innenhofs. Das glänzende Haar und das schimmernde Kleid der Frau flackern in meinem Augenwinkel.
    »Nein, kein Gefängnis «, sagt sie. »Sieh genauer hin. « Sie deutet zu den Fenstern hinauf, und ich sehe winzige, halb ve r fallene Balkone darunter.
    Natürlich, natürlich … es ist ein Mietshaus. Und wer, abg e sehen von einem Amerikaner der Mittelschicht, hätte das nicht sofort erkannt?
    »Oh, ich verstehe, ich verstehe. Aber, mein Gott, es ist wirklich ein Gefängnis, nicht? Die Zimmer müssen unglau b lich winzig sein – sieh nur, wie dicht die Fenster nebeneina n der sind! Man stelle sich vor, den Winter dort zu verbringen! « Ich drehe mich ganz langsam und lasse den Blick von links nach rechts schweifen.
    »Bonjour. «
    Wir drehen uns beide heftig nach rechts herum und schauen nach oben, von wo die Stimme gekommen ist. Auf einer Hol z

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