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Straub, Peter

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Titel: Straub, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fremde Frau
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an verhangenen Nachmittagen im März oder Dezember das Licht ausgeschaltet war, schienen die beiden Fenster am Ende des Zimmers sanft zu glühen; in den Sommermonaten, wenn die Sonne auf die schmutzige Stadt herniederbrannte, schienen die Fenster noch weiter aus dem Hotelzimmer zurückzuweichen und zu der schattigen Kammer, wo ich die Frau getroffen ha t te, wo wir verzückt des anderen Körper geküsst hatten, gleic h falls schimmernd und perlmuttartig in der Düsternis des sec h sten Stocks des Parkhotels, zu sagen: »Bis hierher, und nicht weiter. «
    Ich betrat das Zimmer und schloss die Tür leise hinter mir, und ich hörte sofort das Wasser in der Dusche rauschen. An diesem Nachmittag lag das Zimmer im Halbdunkel, und durch die kreisförmigen Flecken vibrierenden Gelbs auf dem Boden machte es einen fremden Eindruck. Ich schritt schweigend zur Badezimmertür und öffnete sie. Dampf wallte in dem winz i gen Raum wie in einem türkischen Bad. Während ich im Dampf stand, hörte das Prasseln des Wassers auf. Ich wartete darauf, dass sich die Vorhänge teilen würden: auf den ersten Schock, der sich in Freude verwandelte. Hinter dem Dusc h vorhang hörte ich die Stimme der Frau rezitieren:
     
    Wer ist es, der aus der Wildnis kommt
    Rauchsäulen gleich,
    mit Myrrhe und Weihrauch parfümiert
    ,mit allen Essenzen eines Kaufmanns?
     
    Sie streckte den Kopf zwischen den Vorhängen hindurch. »Ich habe gehört, wie du die Tür geöffnet hast. Du machst immer so einen Lärm mit den Schlüsseln. «
    Vom Duschen gerötet, wallendes Gold, trat sie aus der K a bine. »Ist es heute nicht schrecklich? Aber wir werden so schlüpfrig sein. Wie Seehunde. « Sie frottiert sich mit einem großen blauen Handtuch ab und geht ins andere Zimmer, w o bei sie das Haar zurückwirft. Sie hat immer noch Bräune von einem Urlaub, den sie mit ihrem Mann auf Korfu verbracht hat: die braune Glätte ihres Rückens wird von ihrer überr a schend weißen Kehrseite unterbr oc hen. Sie beugte sich hinab und trocknete ein Bein ab. Ihr dunkelgoldenes Haar fiel f ä cherförmig über den Rücken.
    »Das war deine Frau, nicht? Vor zwei Tagen, in dem R e staurant, mit diesem reizenden älteren Herrn? «
    »Ja. Das war Morgan. «
    »Mir hat gefallen, wie sie ausgesehen hat. Ich finde, sie sieht intelligent aus – und entschlossen, glaube ich. Vielleicht nervös, aber stark und klug. Ich glaube, ich mag sie. « Sie hörte auf, ihre Beine zu frottieren und richtete sich auf, schlang das Handtuch um den Nacken und sah mich an. Zwei weiße Ste l len ihrer kleinen Brüste. Sie lächelte strahlend. »Ich hoffe nur, ich muss es ihr nie zeigen.«
    Ich setzte mich auf das Bett und zog Jackett und Krawatte aus. »Nein «, sagte ich, »das wirst du nicht. Es sei denn, du möchtest ihr deine Dankbarkeit zeigen, weil sie uns einen M o nat zusammen ermöglicht. Sie fliegt nach Israel, um ihre Schwester zu besuchen. « Sie schritt durch die vibrierenden go l denen Flächen auf dem Boden, die einen Augenblick über die dunklen Beine huschten, zu mir herüber, dann beugte sie sich herunter und verschluckte mich mit ihrer gebräunten Haut. Das war der Sommer, in dem sie wie ein elektrisches Feuer roch, in London und in Paris, und dann später, während der langen Fahrt nach Aix. Ich erinnerte mich genau an diesen Geruch; als ich ihren letzten Brief erhielt, glaubte ich ihn wieder wahrzune h men, und dann erneut, als ich ihr Bild in Time sah.

2
     
    Als sie in dem Hotelbadezimmer voll Dampf hinter dem mi l chigen Duschvorhang deklamierte, der lediglich eine braune, undefinierbare Masse erkennen ließ, die sich dahinter bewegte, war ich erstaunt, aber nicht besonder s v erblüfft. Die Frau, ha t te ich erfahren, kannte vieles auswendig, viele Stellen aus der Bibel: fast die gesamte Schöpfungsgeschichte, das Hohelied Salomos, Hiob, viele der Psalmen; ebenso kannte sie viel von der prophetischen Literatur. Ihr Vater war Pfarrer in Devonsh i re gewesen und hatte fanatische Vorstellungen gehabt, was Erziehung anbelangte.
    (Als wir zum ersten Mal eine Nacht gemeinsam verbracht hatten, im Royal Eblena Hotel in Dublin, machte ich am näc h sten Morgen einige Bemerkungen – so nebensächlich, dass ich mich heute nicht einmal mehr daran erinnern kann – über ihre Schönheit. Unser Zimmer war fröhlich, mit hellgelben Wä n den und gelben Decken auf dem Bett; das Zentrum des Schla f zimmers war aus einem vibrierenden Gold, ein Kokon, der sich in Fenster und Spiegel abbildete,

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