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Straub, Peter

Straub, Peter

Titel: Straub, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fremde Frau
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hier bist. «
    »Mir ist, als würdest du mich abschieben, mich verstoßen «, hatte sie gesagt.
    Das berührte einen Nerv in mir: ich zuckte zusammen. »Sei nicht albern «, sagte ich zu ihr. »Geh etwas essen, dann gehen wir aus. «
    »Trink nicht zuviel Medizin, während ich weg bin «, hatte sie gesagt.
    Nachdem sie gegangen war, legte ich mich im Bett zurück und konzentrierte mich. Seit sie mit mir gesprochen hatte – › Beichte ‹ war ein, nun, zu hohes Wort für ihre nüchternen Worte –, ärgerte mich das Beharren der Frau, auszugehen und sich Sehenswürdigkeiten anzusehen, in zunehmendem Maße. Und was hatte der Zornesausbruch im Auto, als sie Magruder so heftig verteidigte, bedeutet, wenn nicht, dass ich ihr ebenso auf die Nerven ging wie sie mir? Hinter allem, was wir heute Vormittag zueinander gesagt hatten, hatte der Dämon der G e reiztheit gelauert; es war mehr als wahrscheinlich, dass meine Krämpfe und Schmerzen Ausdruck dieses unterdrückten Zorns waren. Die Frau gab immer den Ton an: wir mussten stets e t was Neues ansehen, oder ein Haus, das sie als Kind gesehen hatte, als sie mit ihrer Mutter auf der Flucht war. Konnte man drei Wochen ausschließlich in der Gesellschaft einer einzigen Person verbringen und nicht diese Spannungen empfinden? An diesem Morgen, als wir unter dem wolkenverhangenen grauen Himmel den Hügel erklommen, war mir ein Sinn o f fenbart worden. Heftigkeit! Dieses Wort hatte aufgeleuchtet. Das hatte etwas mit dem Selbst zu tun, erinnerte ich mich, und die Scheibe war in mich eingedrungen und hatte die Schme r zen verschwinden lassen. Einen Augenblick hatte ich die Zei t verschiebung überwunden; ich konnte mit meinem Selbst Schritt halten; aber dann hatten wir an die Tür geklopft und waren nicht eingelassen worden. Mir wurde klar, dass ich b e trunken wurde. Das machte mich glücklicher. Ich spürte, wie die Scheibe aus mir herausschwebte, wohin die Schmerzen sie geholt hatten.
    Als die Frau ins Zimmer zurückkam, erkannte sie meinen Zustand auf der Stelle. Obwohl sie nichts sagte, sah ich an i h rem Gesicht, den hinabgezogenen Mundwinkeln, dass auch sie verärgert war.
    »Wie war das Essen? «
    Sie ging zum Sessel vor dem Fenster. »Schrecklich, intern a tionale Küche ‹ : biftek und Spargel. « Ich presste die Hand auf den Magen. »Das reicht «, sagte ich.
    Sie beugte sich nach vorn. »Ich habe über alles nachg e dacht, über dich. Sollen wir zu einem Arzt gehen? «
    »Vielleicht «, sagte ich. »Aber ich glaube nicht, dass er mir helfen könnte. «
    »Du kannst nicht drei Tage hier herumliegen, Alkohol in dich hineinschütten und dich selbst bemitleiden. Du musst e t was tun. Ich gebe mir die Schuld, und ich fühle mich schrec k lich. Und da du nichts tust, um dir selbst zu helfen, werde ich wütend, und das richtet sich gegen dich. Ich fange an zu gla u ben, ich kenne dich überhaupt nicht mehr. «
    »Gehen wir aus «, sagte ich.
     
    Der Junge holte den Wagen zum Hoteleingang, und der Portier hielt die Beifahrertür auf. Er schien erbost zu sein, als ich an ihm vorbei zur Fahrertür ging und dort zuerst der Frau die Tür öffnete. Er schlug die Tür äußerst behutsam zu.
    »Ich fahre wirklich gerne Auto «, sagte sie. »In Paris oder anderswo kann ich nie fahren, wenn ich mit meinem Mann unterwegs bin. « Sie schaltete die Scheinwerfer ein, zwei gelbe Kegel überfluteten die Straße. Ich war wirklich betrunken, dachte ich. Die Lichtkegel verschmolzen mit der schimmer n den Scheibe, die ich heute Morgen vorübergehend eingefa n gen hatte, bevor sie mir wieder entglitt.
    »Wohin fahren wir? «
    Sie startete den Wagen wortlos und fuhr langsam den Cours Mirabeau entlang zum Opernhaus. »Kein besonderes Ziel. Ich wollte nur ein wenig in der Stadt herumfahren. « Sie sah durch die nasse Scheibe und schaltete dann seufzend die Scheibe n wischer ein. »Wie dumm von mir «, sagte sie. »Ich habe sie ganz vergessen. «
    Am Kreisverkehr bog sie in den Boulevard Carnat ein und fuhr nach Norden, die fast verlassene Straße unter tropfe n den Bäumen entlang. Die Welt machte einen drogenbetäu b ten, schläfrigen Eindruck, während sie am Autofenster vo r beizog.
    »Ich weiß, warum du soviel trinkst «, sagte sie. »Das ist das eine, worüber ich mir beim Essen Gedanken gemacht habe. «
    »Ich dachte, das wäre hinreichend offensichtlich «, sagte ich. »Aber sage es mir. «
    »Ich glaube nicht, dass du es tust, um deine plötzlichen Krämpfe zu lindern. Ich glaube, die

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