Street Art Love (German Edition)
und wir gehen zusammen die Treppen hoch. Ich halte mich am Treppenlauf fest, weil mir etwas schwindelig ist. Es war vielleicht doch keine so gute Idee, gleich wieder in die Schule zu gehen.
»Kommst du heute zur Kunst- AG ?«, fragt Steffen, und ich nicke wieder. Das Sprechen fällt mir gerade schwer.
Zum Glück ist Maja schon in der Klasse. Sie springt mir entgegen.
»Ich hätte nicht gedacht, dass du heute schon kommst!« Sie mustert mich. »Ist dir nicht kalt?«
»Geht schon«, sage ich und schiebe mich neben sie auf meinen Platz.
Kurze Zeit später kommt Charly mit der Mädchenreihe in die Klasse. Ich versuche seinen Blick aufzufangen, aber Pia verlangt seine ganze Aufmerksamkeit, die er ihr offenbar gerne schenkt. Er hat einen Arm um ihre Hüfte geschlungen und lacht.
Ich hasse ihn.
Als es zur Pause klingelt, bleibe ich auf meinem Platz. In den kleinen Pausen müssen wir nicht auf den Hof, obwohl meist alle die Klasse verlassen. Ich fühle mich zu schwach dafür, im Gang rumzustehen.
Charly kommt an meiner Bank vorbei und nickt mir zu . Geht es noch unauffälliger? Ich bin sauer.
»Hallo, Charly.«
»Hey, warst du krank?«
»Ja«, sage ich stolz und hoffe trotzdem, dass Pia uns beobachtet und vor Neid und Eifersucht verglüht. Aber wie dumm bin ich eigentlich? Mir fallen Majas Fragen ein: Hat er dir eine SMS geschickt? Eine Mail? Dich besucht? Und die Antwort lautet dreimal Nein . Wer weiß, wie oft er Pia in der Zwischenzeit geküsst hat und ob er nicht demnächst sie in sein Atelier einlädt.
Maja kennt mich gut, sie spürt, dass etwas ist. Eigentlich weiß sie sogar ganz genau, was los ist.
»Na ja, ich wollte es dir nicht sagen, aber das war schon gestern so.«
Ich weiß, was Maja meint. Das Flirten mit Pia.
In der großen Pause rufe ich meinen Vater in der Kanzlei an. Das habe ich noch nie gemacht, aber es ist dringend.
»Hol mich bitte sofort ab. Ich fühle mich doch noch nicht so gut.«
Er hat Verständnis. Ich weiß, er muss seine Arbeit nun früher beenden, aber da er heute sowieso mit Max zum Fußball geht, ist das wohl nicht so schlimm.
Maja wird mich bei den Lehrern entschuldigen. Als mein Vater vor der Schule hält, bin ich unendlich erleichtert, wieder nach Hause zu kommen.
Mein Vater fragt nicht viel, kocht mir einen Tee, als wir ankommen, und rät mir, mich hinzulegen. Ich kuschele mich auf mein Bett und atme tief durch. Das Schlimmste ist die Demütigung , denke ich, aber wenn ich es genau betrachte, bin ich gar nicht gedemütigt worden. Ich war einfach nur naiv und dumm. Bin ich das wirklich? Vielleicht bin ich normal und etwas langweilig, aber naiv und dumm bin ich nicht. Und auch Charly wird mich nicht dazu machen. Davon abgesehen, habe ich für ihn eine Menge riskiert, habe mich auf seine Welt eingelassen. Und er? Ist immer noch der eitle Angeber, der sich Sorgen macht, mit mir gesehen zu werden.
Mein Vater bringt den Tee. »Brauchst du sonst noch was?«
Ja, eine Briefbombe, die ich Charly schicken kann. Noch besser: eine E-Mail Bombe, die ich gleich per Mausklick abschicken kann. »Nein, danke, alles okay.«
»Dann hole ich jetzt Max ab und fahre ihn zum Fußball.«
Mein Vater verlässt das Haus, und ich bin ganz allein. Ich frage mich, ob Charly jetzt in der Kunst- AG sitzt und mich vermisst. Nein, der Einzige, der mich vermisst, wird Steffen sein, dem ich gesagt habe, dass ich kommen werde. Vielleicht bin ich ja genauso rücksichtslos zu ihm wie Charly zu mir?
Ich stöhne und lasse mich zurück auf mein Bett fallen. Ich möchte sterben, sofort. Aber das Schlimmste ist: Ich bin immer noch verliebt in Charly.
[zurück]
AM NÄCHSTEN TAG gehe ich nicht zur Schule. Eigentlich möchte ich nie wieder zur Schule gehen. Ich vergrabe mich in meinem Bett, obwohl ich nicht krank bin, und lese in den Street-Art-Büchern. Ich lese, dass der Bundestag 2005 den Paragrafen 304 des Strafgesetzbuches erweitert hat und Street Art nun als gemeinschädliche Sachbeschädigung verfolgt werden kann. Ich sehe Charly im Gefängnis sitzen, und ich sehe nicht, dass Pia ihn dort besuchen wird. Und ich auch nicht. Selber schuld.
Am Mittag kommt Max aus der Schule. Ich freue mich, ihn zu sehen, jemand, der mich mag, mich braucht.
»Soll ich dir was zu essen machen, Superman?«
Er schaut mich mit großen Augen an. »Aber heute kommt doch Irina!«
Es klingelt. Max stürmt zur Tür, reißt sie auf und zerrt Irina ins Haus.
Ich gehe wieder nach oben in mein Zimmer, setze mich aufs
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