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Streiflichter aus Amerika

Titel: Streiflichter aus Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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Advokaten in Privatkanzleien ist einhundertfünfzig Dollar die Stunde. Man muß kein Genie sein, um zu begreifen, daß die besten Anwälte wahrscheinlich keine derartigen öffentlichen Aufgaben übernehmen. In der Regel bekommt ein Anwalt gerade mal achthundert Dollar für eine Pflichtverteidigung. Da ist wohl auch der engagierteste Jurist kaum in der Lage, Experten, unabhängige Laboruntersuchungen oder sonst etwas aufzubieten, das die Unschuld seines Klienten beweisen würde.
    Dank des Projekts der Studenten wurde Williams im letzten September entlassen. Das ist weniger ungewöhnlich, als man denkt. Seit Illinois im Jahre 1977 die Todesstrafe wiedereingeführt hat, sind dort acht Verurteilte hingerichtet und neun entlassen worden. Landesweit hat man in den letzten fünfundzwanzig Jahren neunundsechzig wegen Mordes zum Tode Verurteilte entlassen, nachdem sich herausstellte, daß sie unschuldig waren. Nun, da die staatlichen Prozeßbeihilfen für Revisionsbegehren gekürzt worden sind, können nur noch wenige der Betroffenen auf einen solch glücklichen Ausgang hoffen.
    Es ist eine Sache, wenn ein Bürger einen unschuldigen Menschen ermordet, aber eine ganz andere, wenn der Staat es tut. Doch siehe da! Selbst das ist hierzulande eine Minderheitenmeinung. Laut einer Gallup-Umfrage von 1995 befürworten siebenundfünfzig Prozent der Amerikaner auch dann die Todesstrafe, wenn sich herausstellen sollte, daß von hundert Verurteilten einer fälschlich exekutiert wurde.
    Ich glaube nicht, daß es einen amerikanischen Politiker –jedenfalls keinen mit einer gewissen Position – gibt, der gegen solch eine geballte Macht der Gefühle antritt. Es gab einmal eine Zeit, da versuchten Politiker, die öffentliche Meinung mitzugestalten. Nun reagieren sie nur noch darauf. Was eine Schande ist, denn diese Dinge sind nicht unveränderlich.
    Richard L. Nygaard hat in einem Artikel im New Yorker geschrieben, daß Westdeutschland 1949 die Todesstrafe abschaffte, obwohl vierundsiebzig Prozent der Bevölkerung dafür waren. 1980 war dieser Anteil auf sechsundzwanzig Prozent gesunken. »Die Menschen, die nicht mit der Todesstrafe aufwachsen«, schreibt Nygaard, »betrachten sie zunehmend als barbarisches Relikt, wie Sklaverei oder Brandmarken.« Ach, wäre es doch hier genauso.

    Schluß jetzt!

    Endlich habe ich herausgefunden, was hier alles im argen liegt. Es gibt zuviel. Ich meine, es gibt von allem und jedem so viel, daß man es niemals wollen oder brauchen kann. Außer natürlich Zeit, Geld, guten Installateuren und Leuten, die sich bedanken, wenn man ihnen die Tür aufhält. (Und ganz nebenbei würde ich hier gern zu Protokoll geben, daß der nächste, der durch eine Tür geht, die ich aufgehalten habe, und nicht »Danke schön« sagt, was vor die Nuß kriegt.)
    Sicher, die Vereinigten Staaten sind das Land, wo Milch und Honig fließen, und noch lange nach unserer Ankunft war ich hoch erfreut und wie geblendet von den unendlichen Wahlmöglichkeiten allenthalben. Ich weiß noch, wie ich das erstemal in den Supermarkt ging und baß erstaunt feststellte, daß er nicht weniger als achtzehn Sorten Inkontinenzwindeln im Angebot hatte. Zwei oder drei hätte ich ja noch verstanden. Aber achtzehn – liebe Güte! Es ist ein Land des Überflusses. Manche Einlagen waren parfümiert, manche mit Noppen für zusätzlichen Komfort versehen, und es gab sie in allen Regenbogenfarben und Stärken, von »Huch, es tröpfelt!« bis zu »Halt! Dammbruch!« Das stand natürlich nicht wörtlich auf den Etiketten, aber darauf lief's hinaus.
    Bei fast allen Waren – Tiefkühlpizza, Hundefutter, Eis, Kekse, Chips – gab es buchstäblich Hunderte zur Auswahl. Jeder neue Geschmack schien einen weiteren nach sich zu ziehen. Als ich klein war, waren Weizenflocken Weizenflocken und damit basta. Nun kriegt man sie gezuckert, in bißgerechten Happen, mit Scheiben einer »echten bananenähnlichen Substanz«, und Gott weiß, was sonst noch. Ich war zutiefst beeindruckt.
    Neuerdings begreife ich freilich, daß die Auswahl auch zur Qual werden kann. So richtig klar wurde mir das letzte Woche, als ich an einem Kaffeestand auf einem Flughafen in Portland, Oregon, in einer Schlange von etwa fünfzehn Leuten stand. Es war Viertel vor sechs morgens, nicht meine beste Zeit am Tage, in zwanzig Minuten wurde mein Flug aufgerufen, und mein Körper brauchte wirklich dringend Koffein. Sie kennen das.
    Wenn man früher einen Kaffee wollte, bestellte man einen und kriegte einen.

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