Streiflichter aus Amerika
Sie einmal, was Kalifornien mit der einen Milliarde Dollar hätte bewirken können, wenn es sie zum Beispiel für Schulen und Ausbildung aufgewandt hätte.
Fast alle sind der Meinung, daß ein solch verzwicktes legales Prozedere idiotisch ist, aber leider ist die Todesstrafe hier sehr beliebt. Umfragen zeigen beständig, daß etwa dreiviertel der Amerikaner sie befürworten. Darüber hinaus wollen sie sie – ja, sie bestehen darauf – für ein breitgefächertes Spektrum an Vergehen. Grob die Hälfte
würde es gern zu einem Kapitalverbrechen machen, wenn man Kindern Drogen verkauft, und man kann in den Vereinigten Staaten nun schon für über fünfzig Verbrechensarten zum Tode verurteilt werden.
Ganz abgesehen von moralischen Einwänden, machen es meiner Meinung nach auch praktische Erwägungen schwer, die Todesstrafe zu verteidigen. Erstens einmal wird sie ungleich angewendet. Die zum Tode Verurteilten sind fast ausnahmslos männlich – seit 1962 ist erst eine Frau hingerichtet worden (eine ist allerdings in diesem Monat in Texas auf der Kandidatenliste) – und überproportional arm und schwarz (die Opfer übrigens in der großen Mehrzahl weiß). Von den seit 1977 etwa drei-hundertundsechzig exekutierten Menschen in den Vereinigten Staaten wurden dreiundachtzig Prozent wegen Mordes an einem Weißen verurteilt, obwohl Weiße nur etwa die Hälfte aller Mordopfer ausmachen. Je nach Staat werden Mörder zwischen vier- und elfmal eher zum Tode verurteilt, wenn ihr Opfer ein Weißer und kein Schwarzer ist – da sage noch einer, daß Justitia blind ist!
Es gibt auch eklatante geographische Unterschiede. Neununddreißig US-Staaten haben die Todesstrafe, aber nur in siebzehn – hauptsächlich im Süden – wurden letztes Jahr Menschen hingerichtet. Wenn Sie jemanden ermorden wollen, sind Sie besser beraten, es in New Hampshire zu versuchen, wo seit Jahrzehnten niemand mehr exekutiert worden ist. In Texas oder Florida hingegen befördert man die Leute mit relativer Begeisterung ins Jenseits. Allein in Texas wurden letztes Jahr siebenunddreißig Menschen hingerichtet, soviel wie im ganzen Land zusammen.
Insgesamt sitzen in den USA circa dreitausend Menschen in der Todeszelle. 1997 wurden vierundsiebzig hingerichtet, seit vierzig Jahren die höchste Anzahl. Aber die Zahl derer, die jährlich neu in die Todeszellen kommen, ist viermal größer als die der Hingerichteten. (Die meisten Insassen der Todeszellen sterben im übrigen eines natürlichen Todes.) Um den Rückstand abzubauen und mit der wachsenden Menge neuer Kandidaten fertig zu werden, müßten die Behörden in den nächsten fünfundzwanzig Jahren einen Menschen pro Tag umbringen. Wegen der juristischen Kompliziertheit wird das nie der Fall sein.
Die Frage ist, warum man sich solche Mühe macht. Im Durchschnitt dauert es zehn Jahre und fünf Monate, bis alle Revisionsmöglichkeiten nach einem Todesurteil ausgeschöpft sind. Folglich kostet es nach einer Studie der Duke University zwei Millionen Dollar mehr, einen Gefangenen zu exekutieren, als ihn lebenslang einzusperren.
Sie könnten natürlich einwenden, daß es verurteilten Mördern nicht gestattet sein dürfte, wegen nichtiger Formalitäten endlos Berufung einzulegen. Diese Ansicht machte der Kongreß sich auch aus vollstem Herzen zu eigen und stimmte 1995 für die Streichung der zwanzig Millionen Dollar staatlicher Gelder, die dafür ausgegeben wurden, Todeskandidaten bei ihren Revisionsbegehren zu helfen. Beinahe über Nacht sank die durchschnittliche Frist von Verurteilung bis Exekution um elf Monate.
Das wären ja gute Nachrichten, wenn man darauf vertrauen könnte, daß jeder, der exekutiert wird, es auch verdient. Aber weit gefehlt! Betrachten Sie den Fall von Dennis Williams aus Chicago, der siebzehn Jahre in der Todeszelle verbrachte. Wegen eines Mordes, von dem er immer lautstark behauptete, er habe ihn nicht begangen, aus dem einfachen Grund, daß er ihn nicht begangen hatte. Williams wurde nur gerettet, weil ein Journalistikprofessor an der University of Chicago seinen Studenten als Seminarprojekt aufgab, sich den Fall anzuschauen. Unter anderem fanden die Studenten heraus, daß die Polizei Beweise unterdrückt und Zeugen gelogen hatten und ein anderer Mann bereit war zu gestehen, wenn man ihm nur einmal zuhörte.
Wie die meisten Todeszelleninsassen war Williams von einem Pflichtanwalt verteidigt worden. Illinois zahlt Pflichtverteidigern vierzig Dollar die Stunde. Das gängige Honorar für
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