Streiflichter aus Amerika
ich hinter einem Mann wartete, der an einem öffentlichen Telefon sprach. Der Mann – mittleren Alters, gut gekleidet, vom Aussehen her vermutlich Anwalt oder Steuerberater – redete offenbar mit dem Kleinkind eines Kollegen oder eines Klienten. Und er sagte folgendes: »Also, wann glaubst du, kommt deine Mami aus der Dusche, Süße?«
Denken Sie mal eine Minute darüber nach. Wenn man sich dabei ertappt, ein dreijähriges Kind zu fragen, wie lange ein Erwachsener braucht, um eine Tätigkeit zu Ende zu bringen, dann wird es höchste Zeit, in ein neues Hirn zu investieren. Finden Sie nicht? (Und wer weiß überhaupt, wie lange Leute unter der Dusche brauchen?)
Weiß Gott, die USA haben nicht das Monopol auf Blödheit, aber ein Faktor scheint doch hier in größerem Ausmaß eine Rolle zu spielen als anderswo, und zwar die Angewohnheit der Zeitungs-, Zeitschriften- sowie Rundfunk- und Fernsehleute, immer das extrem Offensichtliche zu konstatieren. Wir haben ja schon auf diesen Seiten gesehen, daß die Washington Post sich nicht schämt, ihre Leser darüber zu unterrichten, daß Schottland »nördlich von England« liegt, oder daß Kolumnisten einen Witz erzählen und dann die Pointe erklären. Natürlich wollen sie – sicher in bester Absicht – ihren Lesern ersparen, sich mit anspruchsvollen oder unbekannten Dingen abzuplagen (ja, verdammt, wo ist Schottland?). Tückischerweise hat es aber denselben durchschlagenden Effekt, als unterzögen sie das Publikum einer Lobotomie.
Das Unselige an all dem ist, daß die Leute, die ihrer Denkfähigkeit verlustig gegangen sind, relativ leichte Beute für die sind, die sie noch nicht ganz eingebüßt haben. Ein-, zweimal die Woche erhalten wir wie fast jeder Haushalt im Land von einer Zeitschriftenwerbegesellschaft einen Brief folgenden Inhalts: »Herzlichen Glückwunsch, Mr. Bryson. Sie haben fünf Millionen Dollar gewonnen!« Direkt über diesem verheißungsvollen Satz steht in erheblich kleineren Lettern: »Wenn Ihre Jackpotnummer mit Ihrer Gewinnummer übereinstimmt, können wir Ihnen mitteilen...«Man muß nicht sonderlich auf Zack sein, um zu erkennen, daß man selbstverständlich keine fünf Millionen gewonnen hat. Leider sind viele unserer Mitmenschen nicht sonderlich auf Zack.
Neulich berichteten die Zeitungen über einen Mann namens Richard Lusk, der, einen Gewinnerbrief in der Hand, der ihm seinem Verständnis nach mitteilte, daß er elf Millionen Dollar gewonnen habe und sie binnen fünf Tagen abholen müsse, von Kalifornien nach Florida flog. Die Firma zeigte ihm das Kleingedruckte und schickte ihn heim. Drei Monate später bekam Mr. Lusk wieder einen im wesentlichen identischen Brief und flog genauso glücklich und erwartungsvoll nach Florida wie das erstemal. Nach Angaben von Associated Press sind in den letzten vier Jahren mindestens zwanzig Leute in demselben freudigen, aber fälschlichen Glauben nach Florida gejettet.
Da diese Nachricht doch eher deprimierend ist, wollen wir mit der Geschichte von meinem Lieblingsdoofen der Woche aufhören – nämlich, einem Möchtegernräuber in Texas, der sich eine Kapuze übers Gesicht zog, um einen Lebensmittelladen zu überfallen, aber vergaß, von seiner Brusttasche das Schildchen mit seinem Foto, Namen und dem des Arbeitsplatzes abzunehmen, was auch prompt von mindestens zwölf Zeugen bemerkt wurde.
Irgendwo, da bin ich sicher, steckt eine Moral drin, und die erzähle ich Ihnen, sobald ich sie herausgefunden habe. Doch jetzt, wenn Sie mich bitte entschuldigen, will ich das Arrangement meiner Unterwäsche überprüfen, falls jemand anfängt, Fragen zu stellen.
Wie man die Wahrheit verdreht
An die Chuzpe, mit der einen hier große Wirtschaftsunternehmen und Konzerne belügen, gewöhnt man sich nur langsam. Ach, ich habe gerade selbst gelogen. Man gewöhnt sich nie daran.
Als wir noch neu im Land waren, fuhren wir durch Michigan und suchten was zum Übernachten. Da kamen wir an einer großen Plakatwand vorbei, auf der eine landesweite Motelkette ein sehr attraktives Sonderangebot offerierte. Ich kann mich nicht mehr an die Einzelheiten erinnern, aber es verhieß freie Unterkunft für die Kinder und Frühstücksgutscheine für die ganze Familie zu dem zutiefst befriedigenden Pauschalpreis von fünfunddreißig Dollar oder so was in dem Dreh.
Bis ich alles gelesen hatte, war ich natürlich schon an der Ausfahrt vorbeigedüst, mußte fünfundzwanzig Kilometer weiter und dieselbe Strecke wieder zurückfahren und
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