Streiflichter aus Amerika
Billionen Zellen im menschlichen Körper mehr genetische Informationen als die gesamte Encyclopaedia Britannica (und schickt nicht mal einen Vertreter an die Tür), aber anscheinend tun neunzig Prozent unseres gesamten genetischen Materials überhaupt nichts. Sie sitzen nur da wie Onkel Fred und Tante Muriel, wenn sie sonntags zum Kaffeetrinken kommen.
Ich glaube, daß wir daraus vier wichtige Schlüsse ziehen können, nämlich erstens: Obwohl unsere Gene nicht viel tun, können sie uns in alle möglichen peinlichen Situationen bringen; zweitens: Wir sollten immer zuerst unsere Briefe einstecken und dann den Tabak kaufen; drittens: Man sollte nie vier Dinge versprechen, wenn man sich an das vierte nicht erinnert; und viertens...
Ausländer? Gibt's die?
In einem Satz, den ich mir zu eigen machen will, sobald der rechte Moment gekommen ist, bemerkt der englische Schriftsteller Julian Barnes, daß jeder Ausländer, der die Vereinigten Staaten besucht, einen leichten Zaubertrick vorführen kann: »Kaufen Sie eine Zeitung und zeigen Sie, wie Ihr Land verschwindet.«
Eigentlich brauchen Sie sich gar keine Zeitung zu kaufen. Sie können eine Illustrierte lesen oder Fernsehen gucken oder einfach nur mit Leuten reden. Kürzlich berichtete mir mein Sohn, daß in seiner High-School-Klasse in einem Test mit Fragen zum Zeitgeschehen nur ein Schüler den Namen des britischen Premierministers kannte, und der Schüler war er. Ich bin ziemlich überzeugt, daß von fünfhundert Amerikanern nicht einer mitkriegt, wenn im Vereinigten Königreich eine Parlamentswahl ansteht.
Seien wir nicht ungerecht. Natürlich wissen die meisten Menschen in den meisten Ländern kaum etwas über den Rest der Welt. Ich meine, könnten Sie die Regierungschefs von Dänemark oder den Niederlanden oder etwa Irland nennen? Selbstverständlich nicht. Aber warum sollten Sie die Namen auch kennen? Es gibt schließlich so viel, worüber man auf dem laufenden sein müßte. Allein die täglichen Soaps sind belastend genug. Das verstehe ich ja.
Aber einen Unterschied gibt es. Sie sind sich durch Zeitunglesen oder Nachrichtenhören und -sehen wenigstens vage bewußt, daß jenseits Ihrer Landesgrenzen die Welt nicht zu Ende ist.
Früher zeigte man sich auch hier etwas interessierter am Weltgeschehen. Die Time fand wacklige Koalitionsregierungen in Italien oder Korruptionsskandale in Südamerika allemal der Erwähnung wert, und in den Abendnachrichten gab es wenigstens hin und wieder eine Einspielung, in der ein Korrespondent im Burberry mit ernster Miene und Mikrofon vor einer Börse oder einem Sampan oder einem Palast der Volksrevolution stand – jedenfalls irgendwo, das definitiv nicht Nebraska war. Selbst wenn man diese Auslandsnachrichten nicht weiter beachtete, erinnerten sie einen wenigstens daran, daß man in einer größeren Welt existierte.
Das war einmal. In den ersten drei Monaten dieses Jahres hatte die US-Ausgabe der Time keinen einzigen Artikel über Frankreich, Italien, Spanien oder Japan, um nur ein paar der Länder zu nennen, die ihrer Aufmerksamkeit entgangen zu sein schienen. Großbritannien schaffte es nur wegen Dolly, dem geklonten Schaf, ins Blatt zu gelangen und Deutschland wegen des Streits der Regierung mit den Scientologen. Ansonsten liegt ein Schleier der Dunkelheit über Westeuropa. Auf den Seiten »Internationales« kann man heutzutage in der Time vielleicht eine einzige Story oder allerhöchstem zwei lesen. Paradoxerweise enthüllt ein Blick ins Impressum, daß das Blatt überall Korrespondenten hat - in Paris, London, Rom, Wien, in aller Herren Länder. Einen der Jobs dort nähme ich mit Kußhand.
Die Fernsehnachrichten sind nicht besser. Nur um sicherzugehen, daß ich hier keinen Quatsch rede (Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste), habe ich mir gestern abend die NBC-Abendnachrichten genau angeschaut. Es handelt sich um eine vielgesehene landesweite Nachrichtensendung, bei der zwischendurch minutenlang Werbung für Haftpulver für dritte Zähne, Hämorrhoidensalben und Abführmittel gemacht wird. (Offenbar neigen die Leute, die in den USA die Abendnachrichten sehen, zum Kränkeln.)
Die NBC-Sendung bestand aus elf Berichten, von denen sich zehn ausschließlich mit den Vereinigten Staaten befaßten. Nur einer, und zwar der über den Besuch des Vizepräsidenten Gore in China, erkannte in gewisser Weise an, daß es jenseits unserer Küsten Leben gibt. In Wirklichkeit ging der Beitrag um die Perspektiven des
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