Streiflichter aus Amerika
Sie es bitte in die Wilson Avenue 32 zurückbringen, wenn Sie es nicht mehr brauchen? Und passen Sie beim dritten Gang auf – er klemmt.«
Niemand schließt irgend etwas ab. Ich weiß noch, wie erstaunt ich anfangs war, als eine Maklerin Häuser mit mir besichtigte (Übrigens: in den USA tun die Makler was für ihr Geld.) und nie ihr Auto abschloß, selbst als wir zum Mittagessen in ein Restaurant gingen und ihr Handy sowie Einkäufe auf dem Rücksitz lagen.
Bei einem Haus stellte sie fest, daß sie den falschen Schlüssel mitgenommen hatte. »Die Hintertür ist bestimmt offen«, verkündete sie zuversichtlich, und so war es auch. In der Folgezeit lernte ich, daß das nichts Ungewöhnliches war. Wir kennen Leute, die, ohne die Türen abzuschließen, in Ferien fahren, nicht wissen, wo der Haustürschlüssel ist, ja, manchmal nicht einmal sicher sind, ob sie noch einen besitzen.
Nun fragen Sie sich gewiß und mit Recht, warum unsere Stadt kein Diebesparadies ist. Ich glaube, aus zwei Gründen. Erstens, weil hier kein Markt für Hehlerware ist. Wenn Sie sich in New Hampshire an irgend jemanden heranschlichen und sagten: »He, brauchste 'n günstiges Autoradio? Stereo?«, würde der Sie anstarren, als hätten Sie nicht alle Tassen im Schrank, und antworten: »Nein, ich hab schon eins. Ist auch Stereo.« Dann würde er Sie der Polizei melden, und – das kommt als zweites hinzu –, die Polizei wäre sofort zur Stelle und würde Sie erschießen.
Aber natürlich erschießt die Polizei hier niemanden, weil es nicht nötig ist. Denn es gibt keine Kriminialität. Es ist das rare, herzerwärmende Beispiel eines umgekehrten Teufelskreises. Wir haben uns schon daran gewöhnt, aber als wir neu in der Stadt waren und ich mein Erstaunen über diese Dinge einer Frau gegenüber zum Ausdruck brachte, die in New York City aufgewachsen ist, doch seit mehr als zwanzig Jahren hier lebt, legte sie mir die Hand auf den Arm, als vertraue sie mir ein großes Geheimnis an. »Honey, Sie sind nicht mehr in der realen Welt. Sie sind in New Hampshire.«
Rufen Sie unsere Hotline an
Neulich habe ich in unserem Badezimmer etwas liegen sehen, das mich in Gedanken die ganze Zeit beschäftigt. Es war ein kleiner Zahnseidenbehälter.
Nicht die Zahnseide selbst interessierte mich, sondern die Tatsache, daß auf dem Behälter eine gebührenfreie Telefonnummer aufgedruckt ist. Vierundzwanzig Stunden am Tag kann man die Zahnseidenhotline der Firma anrufen. Doch jetzt kommt meine Frage: Warum sollte man? Ich stelle mir immer wieder vor, wie ein Typ anruft und mit banger Stimme sagt: »Okay, die Zahnseide hab ich. Was nun?«
Nach meiner bescheidenen Erfahrung würde ich behaupten, wer seinen Zahnseidenlieferanten – aus welchem Grund auch immer – kontaktieren muß, ist womöglich noch nicht soweit, Mundhygiene auf diesem hohen Niveau zu betreiben.
Doch da meine Neugierde nun geweckt war, unterzog ich alle unsere Schränke einer gründlichen Inspektion und stellte überrascht fest, daß fast alle Haushaltsprodukte in den USA Hotlinenummern haben. Offenbar kann man anrufen und um Anweisungen zum Gebrauch von Seife und Shampoo bitten, hilfreiche Tips einholen, wie man Speiseeis lagert, ohne daß es sich in Suppe verwandelt und aus der Packung fließt, und um professionellen Rat ersuchen, welche Teile seines Körpers man am effektivsten und schicksten mit Nagellack verschönt. (»... damit ich das richtig verstanden habe. Sie sagen, nicht auf die Stirn?«)
Für diejenigen, die keinen Zugang zu einem Telefon oder vielleicht ein Telefon, aber dessen Gebrauch noch nicht gemeistert haben, sind auf fast allen Produkten auch nützliche Ratschläge aufgedruckt: »Entfernen Sie vor dem Essen die Schalen« (auf Erdnüssen) oder »Achtung! Benutzen Sie den Behälter nicht noch einmal für Getränke!« (auf einer Flasche Domestos). Kürzlich haben wir uns ein elektrisches Bügeleisen gekauft, anläßlich dessen wir unter anderem ermahnt wurden, es nicht zusammen mit entzündlichen Stoffen zu benutzen. Und vor ein paar Wochen habe ich tatsächlich gelesen, daß Computersoftwarefirmen erwägen, die Anleitung »Beliebige Taste drücken« neu abzufassen, weil so viele Leute anrufen, die die Taste »Beliebig« nicht finden können.
Bis vor wenigen Tagen hätte ich über Menschen, die dieser Art elementarer Beratung bedürfen, laut losgewiehert, aber dann haben mich drei Dinge veranlaßt, meine Ansichten zu ändern.
Zuerst las ich in der Zeitung, daß John
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