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Streiflichter aus Amerika

Titel: Streiflichter aus Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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urplötzlich! wie nur? – mutterseelenallein in einem tief verschlafenen Vorstadtviertel, und keiner hat's gemerkt. Also bitte, finden Sie das auch nur entfernt wahrscheinlich, daß ein seit fünfundsechzig Millionen Jahren nicht mehr auf Erden gesichtetes, sechs Meter großes prähistorisches Viech zuerst heillose Zerstörung in einem Stadtzentrum anrichtet und dann, ohne daß es jemand mitkriegt, in ein Wohngebiet entschlüpft?
    Und dann wird es noch abstruser. Während Polizeiwagen durch die Gegend sausen und hilflos ineinanderkrachen, schaffen der Held und die Heldin es, den wehrlosen T-Rex – ohne daß es irgend jemand in dieser seltsam saumseligen Stadt sieht –zurück zu dem meilenweit entfernt ankernden Schiff zu locken und heim auf seine tropische Insel zu bringen, woraus sich zwangsläufig die glückliche, kommerziell vielversprechende Möglichkeit ergibt, ein Jurassic Park 3 auszuhecken. Vergessene Welt ist allzu durchsichtig und schlampig gemacht, enthält trotz seines Einhundert-Millionen-Dollar-und-mehr-Budgets einen Gedankenreichtum im Wert von vielleicht zwei Dollar fünfunddreißig und ist deshalb auf dem besten Wege, alle Kassenrekorde zu brechen. Am ersten Wochenende hat er schon 92,7 Millionen Dollar eingespielt.
    Im Grunde habe ich aber weder mit Vergessene Welt noch der übrigen Sommerfilmkost Probleme. Ich erwarte schon längst nicht mehr, daß mir Hollywood in den wärmeren Monaten ein intellektuell anregendes Erlebnis beschert. Mein Problem sind der Sony-6Kinokomplex in West Lebanon, New Hampshire, und die Tausenden ähnlichen Vorstadtkinokomplexe, die dem Erlebnis eines Kinobesuchs in Amerika im wesentlichen das antun, was Steven Spielbergs Tyrannosaurus Rex San Diego antut.
    Alle, die in den sechziger Jahren in den USA aufgewachsen sind, erinnern sich bestimmt an die Zeiten, da ein Kinobesuch in ein Etablissement mit einer einzigen Leinwand führte, das gewöhnlich riesig war und im Stadtzentrum lag. In meiner Heimatstadt Des Moines war das Hauptkino (phantasievoll The Des Moines genannt) ein Luxuspalast mit gespenstischer Beleuchtung und einem Dekor, das an das Innere eines ägyptischen Grabgewölbes gemahnte. Zu meiner Zeit war es zwar schon eine Müllhalde – weil es roch, als liege irgendwo ein totes Pferd herum, und weil es seit Theda Baras größten Triumphen nicht mehr gereinigt worden war –, doch einfach nur dort zu sein, vor einer riesigen Leinwand in dreihunderttausend Kubikmetern Dunkelheit zu sitzen war ein faszinierendes Erlebnis.
    Außer in ein paar größeren Städten sind alle alten Innenstadtkinopaläste nun verschwunden. ( The Des Moines verschwand Mitte der Sechziger.) Statt dessen kriegt man heute Vorstadt-Multiplexkinos mit viel zu vielen winzigen Vorführräumen. Obwohl Vergessene Welt im Moment der zugkräftigste Film ist, haben wir ihn in einer lächerlichen Minikammer gesehen in die kaum neun Sitzreihen paßten, die wiederum äußerst sparsam gepolstert waren und so eng zusammenstanden, daß ich meine Knie mehr oder weniger an meinen Ohren verhaken mußte. Die Leinwand hatte die Ausmaße eines großen Strandhandtuchs und war so schlecht angebracht, daß die Leute in den ersten drei Reihen wie im Planetarium senkrecht hochschauen mußten. Der Sound war miserabel, die Bilder wackelten häufig, und bevor es begann, mußten wir dreißig Minuten lang Werbung über uns ergeben lassen. Das Popcorn und die Süßigkeiten waren skandalös teuer und die Verkäufer darauf abgerichtet, einem Sachen anzudrehen, die man weder bestellt hatte, noch wollte. Kurzum, alles in diesem Kino schien sorgfältig darauf ausgerichtet zu sein, einem den Besuch zutiefst zu vermiesen.
    Ich zähle das nicht alles auf, weil ich um Mitleid heischen will, wenngleich ich es sehr zu schätzen wüßte, sondern weil ich darauf hinweisen möchte, daß zunehmend jeder normale amerikanische Kinobesucher diese Erfahrungen teilt. Ein wenig Idiotie im Bereich audiovisueller Kunst kann ich ja noch wegstecken, aber ich finde es unerträglich, wenn dem ganzen der Zauber genommen wird.
    Neulich habe ich mit meiner älteren Tochter darüber gesprochen. Sie hörte aufmerksam, ja mitfühlend zu und sagte dann etwas Trauriges. »Dad«, meinte sie, »du mußt verstehen, daß die Leute kein totes Pferd riechen wollen, wenn sie ins Kino gehen.«
    Sie hat natürlich recht. Aber wenn Sie mich fragen: Die Leute wissen nicht, was sie verpassen.

    Der Risikofaktor

    Heute muß ich Ihnen etwas erzählen, das ich

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