Streifzüge durch das Abendland - Europa für Anfänger und Fortgeschrittene
L a ngs a mkeit, mit der ich mi c h fortbe w e gte, erreichte ich den Bahnhof erst um kurz na c h sechs. Er w ar dunkel und völlig mens c henleer, und an d e n Wänden h i ng ni c ht e i n F a h r plan. Ich setzte mi c h auf e ine B a nk und hatte ke i ne Ahnung, w a nn d e r nächste Zug vorbeik o mmen w ürde, ob es überh a upt e i n e n nächsten Zug geben w ürde. Es w ar e i n so e ins a mer Bahnhof, w ie m a n i hn si c h i n ein e m so klein e n und dicht bevölkerten L a nd w ie Belgien nur vorste l len k a nn. In beiden Ri c htungen verli e f e n die Schien e n für vier oder fünf Kil o meter s c hnu r geradeaus. Ich fror und fühlte ein e n pochenden Schmerz i m K nöchel. Ob e ndrein w ar ich müde - und vor all e m hungrig. Ich hatte den ganzen T ag ni c h t s g e gessen.
Eins a m und g e sch w ä c ht w ie ich w ar, beg a nn i c h, s e hnsüch t ig a n me i n altes St a mmlokal i n m e i ner He i m a t stadt zu denk e n. Es hieß » Y Not Gril l « , w as s o viel bed e utet w ie » Wa r um Ni c ht Gr i l l « , und j eder m ann n a hm a n, dieser N a m e sei die Kur z fassung von » Wa r um K o m m e n Sie Ni c ht Here i n und L a ss e n Si c h Ve r g i fte n « . E s w ar ein merk w ürd i ges L o kal. M a n k ö nnte au c h s a gen, es w ar e i n schrecklich e s Lokal, aber w i e bei den m e i st e n D i ng e n, d i e m it der eigen e n Jug e nd zus a mm e nh ä ng e n, w ar es glei c he r maßen herrlich und schre c kli c h. D a s Essen war abscheulich, die Kel l nerinnen w ar e n ständ i g gereizt und dum m , und bei den Köchen handel t e es sich ausnahmslos um e n t floh e ne Zu c hth ä usler v o n z w e i fe l hafter Sauberkeit. Sie l itt e n unt e r chronis c h e m S c hnu p f e n, der so charakter i stis c h für e i nen aussch w e i fenden Lebens w a ndel ist, so daß un e n t w e gt e i n T röpfchen F e uch t igkeit a n den Spitzen ih r er Nasen hing. U nd w e nn der Küch e n c hef sich u m dr e hte, um e i n e m das Essen zu se r vi e ren, ahnte m a n bereits mit sto i scher Gel a ss e nheit, daß das T röpfchen vers c h w unden s e in w ürde und nun w i e e i ne P erle Morgent a u irg e n d w o a uf d e m H a m bu r ger glitzerte.
I m » Y No t « arbeitete e i ne Kellner i n n a mens Shirl e y. S i e w ar die un a ngen e hmste P erson, die mir j e begegn e t ist. Was man a u c h bestellte, i mmer s a h sie e in e n an, als hätte m a n sich soeben ihr Auto ausle i h e n w oll e n, um mit ihrer T ochter für e i n schweinis c hes Wochenende na c h T i j uana zu fahr e n.
» W as w i llst du ? « fragte sie i mmer.
» Sc h w e i nelend e n mit Z w ie belring e n, bitt e « , w ürde man mit ents c huldig e nder Miene w i e derholen. » N ur w e nn ' s ni c ht zuviel Mühe ma c ht, S hirl e y . «
Fünf M i nut e n konnte sie e i nen a ns e hen, a l s w ol l te sie sich die Gesichts z üge für den P olizeibericht einpräg e n, dann kritzel t e Shirl e y die Bestellung a uf e i nen B l ock und brüllte d e m Koch e t w a s i n dies e m sonderbaren Kaude r w e l sch z u, das sie in sol c h e n Lok a len i mmer von si c h geb e n und das sich a nhört w ie » Z w ei lose S t ühle und den Schl o ng von e i n e m toten Hun d « .
In e i n e m Hol l y w ood-Fi l m w ä re Shirl e y von Mar j orie Main gespielt w orden. Sie w äre s c hroff und herrisch, aber m a n w ü r de sofort merk e n, daß m i hr e m üppigen Busen e i n Herz a us pu re m Gold schl ä gt. Hä t te m a n i hr une r w artet e in Geburtst a gsg e schenk m i tgebracht, w äre sie rot g e w orden und hätte ges a gt » M e ns c h, Junge, das hät t ste doch nich m a chen solln . « Hätte m a n S h i rl e y ein Geburtst a gsges c h e nk mi t gebracht, hätte sie nur g e grunzt »Was fü r 'n Scheiß i s das ? « . S hirl e y hatte leider kein Herz aus Gold. Ich glaube, sie ha t te überh a upt kein Herz. Sie k o nnte ni c ht mal ri c ht i g mit i hr e m Lippenst i ft umgeh e n.
Doch au c h das » Y No t « h a t t e seine Vorzüge. Vor all e m w ar es die ganze Nacht ge ö ffnet, es w ar also i mmer für e i n e n da, ob man nun dring e nd sein e n Cholester i nspiegel erh ö hen mußte oder in den früh e n Morg e ns t und e n e i nfa c h nur unter L e ut e n s e in w o l l t e. Es w ar eine Stätte der Zuflu c ht, e ine kl e ine Insel des Lich t s in der Dunke l heit v o n D o w nt o w n und d e m L o kal a uf E d w ard Hoppers G e m älde »The Nigbt-hawks« sehr ähnli c h.
Das » Y No t « gibt es s c hon l
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