Streifzüge durch das Abendland - Europa für Anfänger und Fortgeschrittene
o m schmutz i g und übe r fü ll t und ein e i nz i ges Ve r keh r s c haos ist, doch auf sel t s a me Weise g e hört auch das zu den Reiz e n dieser Stadt. Neben R o m i st N e w York d i e einz i ge S tadt, die ich k e nn e , von der sich d a s s a g e n läßt. U nd tats ä chli c h erinnerte mi c h R o m i n vielerlei Hinsicht a n N e w York - da gab es dieselben Geräusche, d enselb e n Dreck, dieselbe Redseligkeit, dasselbe Gehupe. Sogar die Polizisten stand e n ebenso träge und untät i g in der Gegend he r u m , und die L e ute h a tten e ine ä hnli c he A rt und Weise, mit Händ e n und Füßen z u reden. Und i n der Luft l a g dieselbe unkoordinierte, spannungsgeladene E nergie. Der U nterschied besteht darin, daß in Rom e i n so w underbares Chaos herrs c h t , w ährend N e w York zi e mlich gut organisiert ist. Die L e ute s t ehen ge d uldig S c hl a nge, b e folgen i m großen und g a nzen die Ve r k e hrsrege l n und beachten die S i tten und Gebräuche, die das Leben i n geordneten Bahn e n h a lten.
Die Italiener fühl e n sich der Ordnung d a geg e n ni c ht i m geringsten verpfli c htet. Sie leben i n einer A rt Chaos, das ich als sehr v e rlockend e m pf i nde. Sie st e h e n nicht geduldig Schl a nge, z a hlen ih r e Steue r n nicht, ersche i nen bei Verabredung e n g r undsätzli c h unpünktli c h, rühr e n ohne Bestechung keinen Finger; sie gl a uben überh a upt nicht an Vorschr i ften irg e n d w el c her A rt. An den Fenstern ita l ienis c her Züge verkündet e i n Aufkleb e r in drei Sprach e n, daß m a n sich nicht aus d e m F e nster l e hn e n soll. In Fr a nzösis c h und Deuts c h kl i ngt es w ie e i n B e fehl, a uf itali e nis c h ist es e her ein Vorschl a g. Anders w äre es au c h w o hl kaum denkbar.
Selbst bei itali e nis c h e n En t führern geht es z u w eil e n recht fo r mlos z u. I m Januar 1988 w urde ein A chtzehn j ähr i ger n a m e ns Carlo Celadon geki d nappt. Se i ne Entführer verste c kten i hn i n e i ner z w ei Meter tief e n Grube i n der Erde und ve r sorgten i hn mit Leb e nsmitt e ln, ließen si c h aber neun Monate Zeit, bis sie sch l ießlich i m O ktober d es Jahres ihre Lös e geldforderung stellt e n. Ist das ni c ht ungl a ublich? Sie verlangt e n fünf M illiarden Lire (ca. 6,5 Millionen Mark), und die ver z w eif e lten Elte r n zah l ten sofort. Doch dann ste l lten die En t führer w eitere Forderung e n, a uf d i e die Eltern ni c ht e i nging e n. Letzt e n Endes w urde der Junge nach z w ei Jahren und 100 T agen freigel a ss e n.
A l s i c h dort w ar, pl a gte sich It a lien gerade mit der achtun d vierzigst e n R e gierung i nnerhalb von fünfundvierz i g Jahren ab. Das L a nd w e ist die sozial e n Struktur e n einer Ban a nenre p ublik a uf und i st e r staunli c he r w e i se dennoch e r folgrei c h. Mi t tle r w eile s i nd die Italiener die fünf t stärkste W irtsch a ftsma c ht der W elt, w a s i c h i n Anbetracht der chaotis c hen Zust ä nde für e i ne at e m b e raubende Leistung ha l te. Hätt e n sie die A rbeitsmoral der Japaner, w ürden sie w o hl bald die Vorherrsch a ft a uf unser e m P lanet e n übe r nehmen. Gott sei Dank s i nd sie w eit davon entfe r nt, denn sie zieh e n es vor, ihre beträchtlich e n Ene r gien für den alltäglich e n Kle i nkr a m auf z u w e nden - für die K i nder, für gutes E ssen, für Streitereien in C a fes -, und so sollte es j a auch se i n.
Eines Morg e ns saß i c h in e i ner Bar an der Via Marsala, als drei A rbeiter in Bl a u m ä nnern e i n t raten. Sie setzt e n sich a n den T resen und bestel l ten K a ffee. Es verging nicht e inmal e i ne M inute, da begann einer von i hn e n, ein e m a nderen h e ft i g g e g e n die Brust zu stoßen und i hm irg e n d w e lche Vor w ü r fe a n den Kopf z u w e r fen, w ä hrend der Dritte w ild mit d en A r m e n ges t ikulierte, Kl a g e laute von sich gab und na c h Luft schn a ppte, als w äre er dem Ersti c ken n a he. Ich rechnete j eden M o ment d a m it, M e sser a ufblitz e n und B l ut fließen z u s e hen, bis mir s c hl i eßlich d ä mmerte, daß sie sich lediglich über die Qu a lität des a m Vortag geg e n Be l gi e n erzielt e n T ores von Schilla c i oder über den Ben z inverbrau c h ein e s Fiat T ipo oder über e t w a s ä hn l ich Bel a ngloses unte r hielt e n. K urz darauf k i ppten sie ihren K a ffee h i nunter und ver l ießen einträ c ht i g das L o kal.
Was für e i n w undervoll e s L a nd.
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