Streifzüge durch das Abendland - Europa für Anfänger und Fortgeschrittene
ag begann düster. Ein Duns t schleier lag über den Berghäng e n h i nter der Stadt, und Neapel an der anderen Seite der Bucht schien über Na c ht vom Erdboden ve r sch w und e n z u se i n. Da w ar nur e ine tote Ebene, das Meer, und d a hinter eine N e be l w a nd. Eigentli c h w o l lte ich z u den Ru i nen der T iberius-Vi l la auf d e m Gipfel des Berges l a ufen, w o der alte Gauner e i nst seine un l iebs a men Gäste über den Schut z w all auf die Fels e n i n der T iefe w e r fen ließ. A ls i c h j edoch aus d e m Hotel trat, regnete es, so daß ich den Vo r m i t tag d a m i t verbrachte, v o n C a fe zu C a fe zu s c hlende r n und e i nen Cappucc i no na c h d e m anderen z u tr i nk e n, ohne dabei den H i mmel a us d e n Aug e n z u lassen. G e gen Mitt a g w ar es d a nn zu spät für ein e n Besu c h der Ru i n e n, es sei denn i c h hätte m e in e n A uf e n t halt auf Capri um e i n e n T ag verlängert, w as i c h mir zeitlich ni c ht leist e n konnte. A lso g i ng ich w i der w i l lig zum Hotel Capri zu r ück, packte me i ne Sach e n, zahlte die Re c hnung und stieg die st e ilen, g l itschig e n Stuf e n zum H a fen h i nunter, w o i c h mit der nä c hst e n F ä hre na c h Neapel übersetzte.
Nach Sorrent und Capri w irkte Neapel noch depr i m i e render als bei me i n e m e r sten Besu c h. Ich l ief e t w a e i n e n K i l o m eter a m Wasser entl a ng, doch von den g l ü c kl i chen F i sche r n, die ihre Netze f l ickt e n und » S anta Lu c i a « s a ngen, w i e ich es m ir so schön vorg e st e llt hatte, w ar w eit und breit nichts zu seh e n. S tatt dess e n ziert e n v e rfallende Wracks und Berge von M üll die Gegend.
Ohne ein e n Stadtplan und nur mit einer äußerst vag e n Ortskenn t nis, w a gte i c h m i c h i n die St a dt, in der Hoffnung, z uf ä l l ig ein e n schat t ig e n und v o n nett e n kle i nen Hotels g e s ä u m t e n P latz zu entdeck e n. S c hließli c h mußte es selbst in Neapel hübsch e re Ecken geben. A ber i c h stieß nur a uf diese Straßen, die so t y p is c h für Neapel sind - s c häb i ge, nur halb as p haltierte Gass e n, in den e n der P utz von den H a us w ä nden bröckelte, in den e n Wäs c hele i n e n z w i sch e n Baikonen gesp a nnt w aren, die nie die Sonne s a h e n. Es w i mmelte von dicken Fr a u e n und Kindern, die oft halbna c kt, nur mit schmutzig e n T -Shirts bekl e idet, unbe a ufsi c ht i gt in d e n Str a ßen spielten.
Es k a m mir vor, als w äre ich auf e i n e n a nderen Kont i n e nt gerat e n. Noch h e ute leben i m Z e ntrum von Neapel 70 000 Famili e n i n sogen a nnt e n bassi - Mietsk a sernen ohne Bad und fließend Wasser, man c hmal s o gar ohne e i n F e nster. In dies e n Beh a usung e n w ohn e n bis zu fünfzehn F a m i lienm it glieder in ein e m e i nz i gen R a u m . Vicaria, der schl i mmste dieser Bezirke in Neapel, i n d e m ich mi c h nun befand, soll die höchste Bevölke r ungsdi c hte Europas auf w e i sen. D e m e n t sprechend hoch ist d i e Kr i minal i tätsrate, vor all e m bei den leichter e n Del i kt e n w ie Aut o diebstahl (29 000 Fälle in e i n e m Jahr) und Straßenr a ub. Ich fühlte mi c h denno c h relativ s i cher, denn ich w urde v o n ni e mand e m beach t et, m it Ausnahme einiger Jug e ndlicher, die m ir S c h i mp f w orte na c hr i efen. Mit me i n e m Ru c ksa c k w ar ich unverk e nnbar ein T ourist, und ich gebe zu, daß ich die Gurte an j en e m T ag b e sonders fest g e schna l lt hatte. Doch die scip p atori, die berühmten H a ndtas c hendiebe auf ihr e n Vespas, ließen s i ch ni c ht blicken. Z w eif e llos a hnten si e , daß es bei mir nichts w eiter zu holen gab als e i n paar schmutz i ge U nterhos e n, e i ne halbe T afel S c hokolade und e i ne zerfledderte Ausg a be von H. V. Mortons A T raveller in Southern I t aly.
Die Neapolitaner s i nd an s c h l echte Zeit e n g e w ö hnt. Na c h d e m Kri e g herrschte e i n sol c her H unger in der Stadt, daß die L e ute a l les aßen, w a s sie i n die F i nger bek a men, s o gar s ä m t liche F i sche in den A q uarien. M a n s c hätzt, daß sich d a mals e i n Dritt e l der Frauen prostituiert hat, nur um z u überleben. Und selbst h e ute verdient e i n A rbeiter i n Neapel durchschn i ttlich ni c ht e i nmal die Hä l fte von d e m , w a s er in Ma i land verdienen w ürde. Doch vi e le ihrer P robl e m e hat sich die S tadt sel b st ges c h a ffen, vor a l l e m dur c h Korru p tion und Ink o m
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