Striptease: Roman (German Edition)
kahl und absolut untropisch. Angelbootkapitäne und Tauchshopinhaber beklagten sich, ihre Kundschaft an die Florida Keys und die Bahamas zu verlieren, wo das Wasser immer noch klar genug war, um die eigene Hand vor Augen erkennen zu können. Ein paar Küstenstädte Süd-Floridas ergriffen bescheidene Maßnahmen, um die Meeresverschmutzung zu reduzieren, aber die Riffe regenerierten sich nicht. Einmal abgestorben, sind Korallen nicht wiederzubeleben.
Biologen stellten die Theorie auf, daß es möglich sein müßte, Fische auch ohne echte Korallen anzulocken. So entstand das Konzept der »künstlichen Riffe«, die weder so exotisch noch so hochtechnisiert waren, wie der Begriff vermuten ließ. Künstliche Riffe wurden geschaffen, indem man alte Schiffe versenkte. Einmal auf dem Meeresgrund zur Ruhe gekommen, lockten die geisterhaften Kolosse Köderfische an, die wiederum Barrakudas, Makrelen, Haie, Barsche und Blaufische anzogen. Die Angelboot- und Tauchbootkapitäne waren selig, weil sie nicht mehr vierzig Meilen weit hinausfahren mußten, um ihren Kunden echte Fische zu zeigen.
Vom werbemäßigen Standpunkt aus gesehen, war das Programm der künstlichen Riffe ein Riesenerfolg – eine Art lebendiger Schrottplatz des Meeres. Endlich einmal konnten die menschlichen Praktiken der Abfallentsorgung ganz legitim als Segen für die Umwelt verkauft werden. Alle paar Monate wurde irgendein alter Frachter aufs Meer hinausgeschleppt und mit Dynamit gesprengt. Örtliche Fernsehsender strömten zu diesem Ereignis herbei, da es ihnen die Möglichkeit bot, die teuren Helikopter für etwas anderes einzusetzen als für Verkehrsberichte. Wie vorauszusehen war, wurden diese von großem öffentlichen Interesse begleiteten Aktionen zu einer regelmäßig stattfindenden Touristenattraktion Süd-Floridas. Hunderte von Bootsfahrern versammelten sich dann und applaudierten begeistert, wenn die rostigen Kähne explodierten und in den Wellen versanken.
Am Morgen des 2. Oktober wurde ein sechsundachtzig Fuß langer guatemaltekischer Bananendampfer namens Princess Pia von Port Everglades zu einer vorher festgelegten Position vor der Küste von Fort Lauderdale geschleppt. Die Princess Pia war sorgfältig ausgeschlachtet worden. Verschwunden waren die Zwillingsdieselmotoren, die verrostete Steueranlage, die Funkelektronik, die Taue, die Schläuche, die Rohrleitungen, die sanitären Armaturen, die Lukendeckel und die Schotts, die Windschutzscheibe, sogar der Anker – jedes Teil, das irgendeinen Wert besaß, war aus dem Schiff entfernt worden. Was übrigblieb war der nackte Rumpf. Diesen hatte man weitgehend entfettet, um die in allen Farben schillernden Altölreste, die sich während des Untergangs der Pia bilden würden, so gering wie möglich zu halten.
Die Vorbereitung des Schiffs hatte nahezu einen Monat gedauert. Beaufsichtigt wurden die Arbeiten von einem Inspektor der Küstenwache, einem Umweltingenieur aus Broward County und einem Agenten der amerikanischen Zollbehörde, die das Schiff vierzehn Monate vorher aufgebracht hatte. Sobald der Zollagent sich überzeugt hatte, daß in der Princess Pia keine verborgenen Frachträume mehr existierten und dort kein Haschisch mehr zu finden war, erklärte er das Projekt für abgeschlossen. Der Inspektor der Küstenwache und der Umweltingenieur des Bezirks unternahmen am Abend des 1. Oktober einen letzten Rundgang durch den alten Kasten. Viel später sollten beide Männer aussagen, daß die Pia bis auf den Sprengstoff an diesem Abend leer war, vor allem im hinteren Frachtraum befand sich absolut nichts.
Ein einzelner Nachtwächter, engagiert von der Abwrackfirma, wurde an der Anlegestelle des Schiffs postiert, um zu verhindern, daß das Dynamit aus dem Rumpf gestohlen wurde. Der Wächter hielt pflichtgemäß Wache bis etwa drei Uhr morgens, als eine Gruppe freundlicher Hafenarbeiter ihn zu Kartenspiel und Pornovideos auf einen japanischen Holzfrachter einlud. Insgesamt war die Princess Pia mindestens drei, aber wahrscheinlich fünf Stunden unbewacht, je nachdem, welcher Aussage man Glauben schenkte.
Eines war unbestritten: Im Morgengrauen des nächsten Tages zogen zwei Schlepper die Pia bei einsetzender Ebbe hinaus aufs Meer. Drei Boote der Marinepatrouille und ein Kreuzer der Küstenwache fuhren voraus und gingen zwischen der Armada der Schaulustigen und dem mit Dynamit präparierten Frachter in Position. Der Platz für das neue künstliche Riff lag nur drei Meilen vor der Küste, aber es
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