Striptease: Roman (German Edition)
Südamerikaner kam auf sie zu. Er schob ein Mädchen in einem kleinen Rollstuhl. Das Mädchen war blaß und hatte tiefschwarzes Haar, das zu Zöpfen geflochten war. An einem Bein trug das Kind eine Stahlschiene.
Schnell zog Erin ihre Tochter zum Eingang eines Spielwarenladens hinüber. »Erinnerst du dich noch an all die Barbiepuppen, die du verloren hast.«
»Mami …«
»Komm, wir holen dir ein paar neue.«
»Mami, sieh doch!« Angie hatte den Rollstuhl entdeckt. »Ein Everest-and-Jennings.«
Na wunderbar, dachte Erin. Er hat ihr sogar die Fabrikate beigebracht.
»So macht Daddy es auch immer«, erklärte Angela. »Er schiebt mich. Aber warum fahren sie denn so langsam?«
»Weil das kleine Mädchen ein schlimmes Bein hat. Sie darf nicht schneller fahren.«
»Vielleicht wenn es ihr besser geht.«
»Ja, Baby. Wenn es ihr besser geht.«
Erin überlegte, ob sie ihrer Tochter die Wahrheit sagen sollte – daß es kranke Leute gab, die niemals wieder richtig gesund würden. Es wäre eine ganz gute Überleitung zu Angelas Vater und weshalb Angela nie mehr mit ihm zusammensein würde.
Aber Erin ließ die Gelegenheit verstreichen. Das Kind war erst vier Jahre alt und hatte noch ein ganzes Leben vor sich, um etwas über Traurigkeit zu erfahren. Heute gab es nur Dalmatiner, Eiscreme und neue Puppen. Im Spielwarenladen kaufte Erin zwei neue Barbies mit Badeanzügen und Abendkleidern. Zu Pelzmänteln sagte sie nein, aber Angela begann nicht zu quengeln.
Im Wagen fragte sie: »Mami, wann kann ich wieder nach Hause kommen?«
»Es dauert nicht mehr lange.« Erin betete innerlich darum, daß Angie mit »nach Hause« sie und ihre Wohnung meinte und nicht Darrell Grant. »Du meinst die neue Wohnung, nicht wahr?«
Angela nickte eifrig. »Die Treppen haben mir gefallen. Das hat Spaß gemacht.« Sie überlegte. »Wo geht Daddy denn hin?«
Was soll ich ihr erzählen, dachte Erin. Daddy geht ins Gefängnis? Nein, Gefängnis war ein Wort, das ihr angst machen könnte. Wie wäre es mit: ein ganz spezieller Ort, wo Erwachsene hingehen, wenn sie Ärger haben. Oder besser: ein großes Gebäude, das aussieht wie ein Krankenhaus – bis auf den Stacheldraht. Und wieder entschied Erin, der Frage nach Darrells Schicksal auszuweichen.
»Man wird schon für ihn sorgen«, sagte sie.
»Hat er eine andere Freundin?«
»Das weiß ich nicht.« Die Frage kam für Erin überraschend.
»Ich will nämlich nicht, daß er einsam ist.«
»Er ist nicht einsam, Baby, das verspreche ich dir.« Erin hatte eine deprimierende Vision von Angela als junger Frau, die treu und brav jedes Wochenende ihren Vater in Raiford besuchte. Zweifellos würde Darrell versuchen, sie dazu zu bringen, Zigaretten und Tabletten ins Gefängnis zu schmuggeln.
»Wo fahren wir jetzt hin?«
»Zu Victoria’s Secret.«
»Was ist das?«
»Das Geschäft, wo Mami die Kostüme für ihren Job kauft.«
»Deine Serviererinnensachen?«
»Richtig«, sagte Erin seufzend. »Meine Serviererinnentracht.«
Es war fast fünf Uhr, als sie nach Miami zurückkamen. Erin wollte sich noch nicht verabschieden, aber sie hatte nur noch eine Stunde Zeit für die Rückfahrt zum Club, und der Verkehr in Richtung Norden war zähflüssig.
Angela küßte sie auf die Nase und aufs Kinn. Es war ein Spiel, das sie stets wiederholten.
»Mami, danke für die neuen Barbies.«
»Vergiß nicht, immer nett und freundlich zu sein und andere mitspielen zu lassen.«
»Das verspreche ich.« Angie hüpfte aus dem Wagen und hielt krampfhaft die Einkaufstasche fest, in der sich die Puppen befanden. Sie stand auf dem Bürgersteig und winkte.
»Lauf schon rein«, sagte Erin. Sie schickte ihr eine Kußhand und tippte sich mit dem Finger auf die Nase. Während Angela sich umwandte und auf das Haus zuging, entfernte Erin sich langsam. Als sie sich etwa in der Mitte des Blocks befand, warf sie einen Blick in den Rückspiegel und sah ihre Tochter hinter dem Wagen herrennen. Erin bremste so scharf, daß die Reifen quietschten.
»Mami!« Angela stand auf Zehenspitzen und schaute durch das Seitenfenster. Ihre Wangen waren gerötet, und sie war außer Atem. Sie hatte die Arme um die Tasche mit den Puppen geschlungen.
»Was ist los, Baby?« fragte Erin.
»Ich habe Angst.«
»Vor was?« Erin öffnete die Wagentür, und Angela kletterte auf ihren Schoß. Erin sah sich um, ob jemand auf der Straße zu sehen war, der dem Mädchen vielleicht Angst einflößte, aber sie konnte niemanden entdecken.
»Angie, was ist
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