Striptease: Roman (German Edition)
Shad in eine stille Ecke, möglichst weit weg von der Tanzfläche. »Als du noch ein kleiner Junge warst, was wolltest du als Erwachsener werden? Ich meine, war in deinem Lebensplan vorgesehen, daß du in einem Nacktschuppen fremde Schädel einschlagen würdest?«
»Ich wollte bei den Forty-niners spielen«, sagte Shad.
»Richtig! Und was ist passiert?«
»Ich bin im neunten Schuljahr von der Schule geflogen.«
Orly verdrehte die Augen. »Der Punkt ist der, daß fast niemand das im Leben bekommt, was er sich wünscht. Ich, zum Beispiel, wollte immer Geburtshelfer werden.« Er deutete mit einer schlaffen, bleichen Hand auf die von einem Stroboskopblitz erleuchtete Szene hinter sich. »Und gelandet bin ich hier. Verstehst du mich? Man nennt dies, sich der Realität stellen.«
Shad wurde durch die lachhafte Vorstellung, daß Mr. Orly eine ärztliche Laufbahn anstreben wollte, kurzfristig abgelenkt. Es war die phantastischste Lüge, die er seit langer Zeit gehört hatte.
»Es gibt auch noch eine andere Art von Realität«, erklärte er Orly. »Und ich möchte in meiner wieder das Wunderbare, das Geheimnisvolle sehen können.«
»Scheiß auf Geheimnis, reden wir lieber von Loyalität. Als ich dich einstellte, hattest du noch Augenbrauen. So lange ist das schon her.«
Shad blieb bei dieser sentimentalen Andeutung ungerührt. Er konnte sich an keine einzige Weihnachtsgratifikation erinnern.
»Ob es dir nun gefällt oder nicht«, fuhr Orly fort, »aber das hat Gott für dich geplant. Das ist es, wofür du geschaffen bist …«
»Sie hätten Fernsehprediger werden sollen«, sagte Shad.
»Wenn es wegen dieser Skorpionsache ist, dafür habe ich mich entschuldigt. Ich geriet ganz einfach nur in Panik, als dieser Inspektor auftauchte.«
Shad sagte, das sei nicht so schlimm.
»Was, zum Teufel, kann ich sonst noch sagen?«
»Einfach nur adios «, schlug Shad vor.
Orly schien in sich zusammenzufallen. Er schüttelte Shads massige Hand und sagte: »Ich nehme an, du hast schon was anderes in Aussicht.«
»Nein, aber ich habe ein paar interessante Ideen.« Damit verabschiedete er sich. Niedergeschlagen verfolgte Orly, wie die mächtige helle Kugel über der Gästeschar zur Tür schwebte.
Urbana Sprawl sprang von einem Tisch und hielt Shad mit einer innigen Umarmung auf. »Mein Held«, schnurrte sie.
»Ich bin’s nur, Babe.« Shad holte die rote Mütze aus der Tasche und setzte sie in einem verwegenen Winkel auf Urbanas Kopf. »Ist Erin auf der Yacht?« fragte er.
»Sie tanzt sich die edle Seele aus dem Leib.«
»Was zum Teufel hat sie vor?« Shad war gezwungen zu brüllen, weil Kevin die Rap-Nummer sadistischerweise bis auf neunzig Dezibel aufgedreht hatte.
Urbana schrie ihm ins Ohr: »Ich glaube, sie hat etwas Schlimmes im Sinn!«
Die Musik schien Shads Konzentration und sein Gleichgewicht zu beeinträchtigen. Jeder Baßton fühlte sich an wie ein Hammerschlag auf seine Schädeldecke. Er fragte sich, wieviel Kugeln wohl nötig wären, um die Wandlautsprecher auszuschalten.
»Es geht immer weiter und immer bergauf«, sagte er zu Urbana Sprawl und bahnte sich einen Weg aus der Bar hinaus.
Das Apartmenthaus, auf dem sich Malcolm J. Moldowskys Penthaus befand, lag genau zwanzig Autominuten von Jesse James Bradens Einfamilienhaus entfernt. Wenn man Al García gefragt hätte, hätte es genausogut ein ganzes Universum sein können.
Die Ermordung von Jesse James Braden wurde durch zwei miteinander zusammenhängende Ereignisse eingeleitet. Am 6. Oktober um genau 17.10 Uhr kippte Jesse James Braden einen ganzen Mixbecher Bloody Marys auf die frisch gereinigten Sitzpolster des Toyota Camry seiner Frau. Das war das erste Ereignis. Um genau 17.11 Uhr lachte Jesse James Braden schallend über das, was er getan hatte. Das war das zweite Ereignis. Um genau 17.12 Uhr zerrte Jesse James Bradens Frau ihn aus dem Toyota und tötete ihn durch Schüsse in die Genitalien.
Die Nachbarn waren sich uneins in der Beantwortung der Frage, ob Mrs. Braden vielleicht übertrieben reagiert hatte. Die Zeugen waren sich darin einig, daß Jesse ein notorischer Sünder war und häufig ein Verhalten an den Tag legte, das einen Mord geradezu herausforderte. Die Schießerei an sich war gar nicht so wichtig wie Mrs. Bradens Wahl des anatomischen Ziels. Die Männer in der Schar der Schaulustigen waren der Auffassung, daß das bloße Verschütten eines alkoholischen Getränks – und das darauffolgende gedankenlose Gelächter – kaum drei Kugeln
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