Striptease: Roman (German Edition)
Augenhöhlen.«
»Ich verstehe«, sagte der Psychiater. Er schaute kaum von seinen Notizen hoch. Shad interpretierte dies als Aufforderung, noch eins draufzupacken.
»Ja, dieses Monstrum hetzt mich hin und her. Dabei faucht und brüllt es wie tausend Tiger. Der Bursche ist so groß wie ein Tankwagen. Außerdem ist er gerade dabei, ein totes Baby aufzufressen.«
»Ich verstehe.«
»Und wenn er ganz nah bei mir ist... verwandelt er sich in meine Mom.«
»Gut«, sagte Dr. Vibbs teilnahmslos. »Erzählen Sie mir jetzt von Ihrer Mutter.«
»Häh?«
»Bitte. Mich interessiert Ihre Beziehung zu Ihrer Mutter.«
»Tatsächlich?« Ein seltsames Funkeln erschien in Shads Augen. Er zog Dr. Vibbs aus seinem Sessel hoch und legte ihn bäuchlings auf den Fußboden. Dann schnappte er sich eine Schere mit Holzgriffen und schlitzte die Kleidung des Psychiaters vom Hals bis zum Gesäß auf. Auf dem Schreibtisch fand Shad einen Drehständer mit mehreren Gummistempeln. Er suchte sich einen roten mit dem Text KEINE VERSICHERUNG aus und bestempelte damit Dr. Vibbs nackten Oberkörper. Es dauerte einige Zeit, bis Shad die Stempelfarbe verbraucht hatte. Unterdessen drangen welpenhafte Winsellaute aus der Kehle des Arztes.
»Was für ein Schwindler«, beschwerte sich Shad. Er warf den Stempel auf den Schreibtisch und raffte eine Handvoll Bonbons für den Heimweg zusammen.
»Sie sind ernsthaft gestört!« rief Vibbs.
»Ich bin nicht gestört. Das Wort lautet traumatisiert. Sie hätten es aufschreiben sollen.«
»Gehen Sie«, sagte Vibbs.
Shad beugte sich über ihn. »Nicht bevor Sie es buchstabiert haben.«
»Wie bitte?«
»Komm schon, Schädelbohrer. Trau-ma-ti-siert . Ich sag dir sogar das schöne große T vor.«
»Ich bin richtig stolz auf dich«, sagte Shad und stieg über ihn hinweg. »Und vergiß den Quatsch mit meiner Mom. Ich weiß gar nicht, was in mich gefahren ist.«
Um Unruhe unter den Angestellten des Eager Beaver im Keim zu ersticken, pflegte Orly auf den Tisch zu hauen und mit der Mafia zu drohen. Er brüstete sich dann mit seinen engen Kontakten zu Angelo Bruno, Nick Scarfo, Fat Tony Salerno und anderen berühmten Gangstern, deren Namen er aus Krimimagazinen kannte. Er erzählte von Blutschwüren und davon, daß jeden, der einen solchen Schwur brach, der sichere Tod erwartete. Orlys Vorstellung hatte gewöhnlich die gewünschte Wirkung, Forderungen nach Lohnerhöhungen, Gesundheitsfürsorge oder auch nur nach geringfügigen Verbesserungen der Arbeitsbedingungen im Club zum Verstummen zu bringen. Tatsächlich existierte überhaupt keine Verbindung zum organisierten Verbrechen. Der Mob war nicht am Eager Beaver interessiert, weil Stripschuppen zu oft Schwierigkeiten mit der Polizei hatten. Orly erfuhr das aus erster Hand vom einzigen echten Mafioso, den er je kennengelernt hatte, nämlich einem Kredithai, der vor Gericht stand, weil er die Daumen eines mit seiner Rückzahlung in Verzug geratenen Chrysler-Händlers gebrochen hatte. Orly hatte aus Studienzwecken das Gericht aufgesucht, um sich darüber zu informieren, wie der Mob tatsächlich operierte. Während einer Prozeßpause hatte er sich an den Kredithai herangemacht und ein freundschaftliches Gespräch angefangen. Als Orly den Kredithai fragte, ob er irgend jemand kenne, der an einem Nackttanzclub interessiert sei, hatte der Mann das Gesicht abfällig verzogen und gesagt, nichts zu machen, dort wimmle es zu sehr von Polizei. Videohallen, fuhr der Mobtyp fort, das sei eine ganz andere Sache. Eine Videohalle sei weitaus reizvoller, investitionsmäßig betrachtet. Orly war enttäuscht, aber aus Höflichkeit blieb er noch da, um das Urteil zu erfahren. Nicht schuldig, lautete es schließlich. Die Geschworenen (unter ihnen mehrere Käufer von Chrysler-Produkten) waren sichtlich unbeeindruckt von der Leidensgeschichte des Opfers. Orly bemerkte sogar, wie einige von ihnen lächelten, als der Händler beschrieb, wie seine Hände auf den Türpfosten einer stahlblauen New Yorker Limousine gelegt wurden. Soviel Aufwand für eine Schuld von sechshundert Dollar! Orly staunte. Er klammerte sich an den Traum, daß die Mafia ihn eines Tages als Partner akzeptieren würde.
Einstweilen mußte jedoch die Illusion ausreichen. Orly sah sich einer geschlossenen Front unzufriedener Tänzerinnen gegenüber. Wie üblich war Erin das Sprachrohr der Gruppe.
»Punkt Nummer eins«, begann sie, »die Klimaanlage.«
Orly musterte sie finster. »Was ist damit?«
Urbana Sprawl
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