Strom der Sehnsucht
in diesen Schlamassel mit hineingezogen habe, sollte man mir bei lebendigem Leibe die Haut abziehen und mich den Schweinen zum Fraß vorwerfen.« Er berührte mit zitternden Fingern eine schimmernde kastanienbraune Strähne, die ihr über die Schulter hing. »Du warst sowohl Opfer als auch strahlendes Ziel für uns alle, sogar für Meyer, ganz besonders für Meyer. Dich in diesem Zustand zu sehen, ist so...«
»Mir geht es gut«, unterbrach sie ihn, denn seine ruhige Bemerkung konnte leicht zu einer Aufzählung von Freuden führen, die doch nie Wirklichkeit wurden, und das wäre ihr unerträglich. »Was ist mit dir? Kannst du gehen?«
Der Anflug eines Lächelns ging über sein Gesicht und verschwand. »Ein pragmatischer Engel. Du willst das Fleisch noch einmal erretten, auch wenn der Geist dabei zu kurz kommt?«
»Ich neige dazu, ersterem mehr Bedeutung beizumessen.«
»Bei so viel Anerkennung, wie könnte ich da verweigern, worum ich gebeten werde?«
Seine Worte gingen im Klirren von Glas unter. Rolf kam mit geschmeidigen Bewegungen seiner durchtrainierten Muskeln schnell auf die Beine, schwankte und mußte sich am nächsten Bettpfosten festhalten, daß dieser sich durchbog. Ein Hufeisen polterte zu Boden und landete vor Angelines Füßen.
Sie hob es auf und taumelte, steif vom langen Verharren in derselben Stellung, ans Fenster. Unten stand ein Mann. Zuerst konnte sie nicht erkennen, wer, aber als das Licht der Lampe durch das Fenster auf sein Gesicht fiel, sah sie, daß es McCullough war.
»Gut, es ist also ’s richtige Zimmer. Hab ich mir schon gedacht, weil da vorhin so ’n Krach war.«
Bevor Angeline antworten konnte, stand Rolf neben ihr. »McCullough, habt Ihr eine Waffe für mich?«
»Dacht mir, daß Ihr so was brauchen könnt.« Er nahm eine Pistole aus dem Gürtel, wartete, bis Rolf die Hand durch die zerbrochene Scheibe gestreckt hatte, und warf sie ihm zu. Pulver und Kugelbeutel folgten, dann wirbelte ein Messer herauf.
»Habt Dank, mein Freund«, sagte Rolf.
»Ihr habt mir mal ’s Leben gerettet. Wollt’ Euch auch ’n kleinen Gefallen tun, und als mir zu Ohren gekommen ist, daß einer von Euern Leuten meinen Männern Geld für Eure Haut geboten hat, hab ich mir geschworen, ein bißchen mitzumischen.«
»Dann sind wir also quitt.«
»Ihr seid still! Ich komm rauf. Ihr könnt in Euerm Clan den Ton angeben, in meinem bestimme immer noch ich. Wir schaun net tatenlos zu, wie se Euch umbringen, Euch und das Mädchen.«
Rolf nickte, wobei seine ganze Aufmerksamkeit dem hastigen Laden der Pistole galt. Das Messer hatte er schon eingesteckt. »Richtet Gustav aus, daß er und die anderen nicht mehr an die Abmachung gebunden sind. Sie wurde gebrochen. Das Haus ist voll von solchen gedungenen Halsabschneidern wie Eure Männer, Wachen...«
Zu mehr war keine Zeit. Im Treppenhaus erklangen Schritte. Der Schlüssel drehte sich im Schloß, und die Tür wurde aufgestoßen.
Meyer stürzte mit Etienne im Schlepptau ins Zimmer. Als er Rolf mit einer Waffe in der Hand dastehen sah, riß er verblüfft die Augen auf und hielt abrupt inne. Er senkte die Lider, wodurch seine Miene undurchdringlich wurde. Dann trat er zur Seite, und sie sahen, daß auch Etienne eine Pistole in der Hand hielt. Der hagere Mann richtete die Waffe auf sie.
Mit einer wütenden Geste gebot Meyer jäh Einhalt, ohne den Blick von Rolfs Pistole abzuwenden. Der zielte noch immer unerschrocken direkt auf Meyer.
Ein Patt. Angeline stockte der Atem. Sie sah von Meyer zu Rolf und erkannte zum erstenmal eine flüchtige Ähnlichkeit in den entschlossenen Gesichtern mit den zusammengepreßten Lippen.
»Was jetzt, Bruderherz, mit dem ich Windeln und väterliche Wut geteilt? Was wirst du jetzt tun?«
Meyers Gesicht verhärtete sich bei diesem sanften Spott. »Mich zurückziehen, denke ich, und dich von dem Feuer rösten lassen, das schon entfacht ist. Ich bewache das Fenster, falls du einen schnelleren Tod wählen solltest.«
Rolfs Hand umklammerte die Pistole fester, so daß die Knöchel weiß hervortraten und das Licht golden auf den Ring mit dem Wolfshaupt fiel. »Und Angeline? Es wäre Wahnsinn, solche Vollkommenheit zu vernichten.«
»Jetzt bietest du sie mir an, nachdem du sie eben erst meinen Händen entreißen wolltest? Ist der Tod doch nicht besser als ein Leben in Schande? Denn schänden würde ich sie, und das gründlich...«
»Nein!« rief Angeline und tat instinktiv einen Schritt auf Rolf zu.
Der schwieg. In seinen
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