Strom der Sehnsucht
Warum bestand Rolf darauf, ihrer Hochzeit beizuwohnen? Diese Frage ließ Angeline nicht einmal los, als sie sich schon auf die Zeremonie in der St. Louis Kirche vorbereitete.
Sie betrachtete das Kleid, das auf ihrem Bett lag. Es war aus schwerem elfenbeinfarbenem Satin mit passendem Unterrock. Andres Mutter hatte es ihr geschenkt. Es war elegant geschnitten mit glockenförmigen Ärmeln bis zum Ellbogen, hoher Taille und fließendem Rock.
Sie hätte sich lieber in aller Stille trauen lassen, nur in Anwesenheit von Helene und - da er darauf bestand - Rolf. Doch es sollte nicht sein. Andre wollte unbedingt in der Stadtkirche heiraten. Er hatte es zwar nicht ausgesprochen, aber Angeline vermutete, daß er damit beabsichtigte, allen Spekulationen über eine geheimnisumwitterte Hochzeit entgegenzutreten.
Tante Berthe hatte deutlich zum Ausdruck gebracht, daß sie keine Zeit damit verschwenden würde, sich das Eheversprechen einer Nichte anzuhören, die sie nur noch hassen konnte. Sie gab Angeline rückhaltlos alle Schuld am Tod ihrer Tochter.
Nein, Angeline mußte allein im Wagen der Delacroix vor der Kirche vorfahren. Sie würde an Andres Arm durch den Mittelgang schreiten. Dann sollte das Versprechen vor dem Priester abgegeben werden und die Eintragung ins Kirchenbuch erfolgen. Ihre Blumen würde man zum Familiengrab der Delacroix’ bringen. Man würde im Stadthaus der Familie das Hochzeitsmahl einnehmen, und das Brautpaar würde dort, wie es Brauch war, fünf Tage in Zurückgezogenheit verleben. Danach würden sie auf die Plantage gehen und ebenso weiterleben, als habe es Rolf von Ruthenien nie gegeben.
Seufzend ließ Angeline den kühlen Satinstoff des Unterrocks über ihre Haut gleiten. Dann setzte sie sich, rollte die Seidenstrümpfe über die Knöchel und die schlanken Waden und befestigte sie mit Strumpfbändern aus besticktem Satin am Knie. Sie zog sich die Schuhe an und strich sich mit den Händen über die Taille. Sie war immer noch schlank und würde es noch einige Wochen sein. Kein Pölsterchen konnte den Hochzeitsgästen Anlaß zum Tratschen geben. Dennoch fühlte sie sich durch ihren Zustand gebrandmarkt.
Sie ließ die Hände sinken und trat an das Tischchen mit ihrer corbeille de noce, dem Brautkorb, den der Bräutigam seiner Auserwählten schickt. Er war aus weißem, feingeflochtenem Stroh, mit Satin ausgelegt und mit Spitzen und Bändern geschmückt. Eine großzügige Gabe, die einen auffälligen Kontrast zu dem eher schlichten Rubinarmband bildete, das ihr Andre zur Verlobung geschenkt hatte.
Der Korb war ein wenig verspätet am Morgen von einem Boten gebracht worden, aber Angeline hatte ja gar nicht erwartet, überhaupt etwas zu bekommen. Als sie gesehen hatte, was darin war, elegante weiße Glacehandschuhe, ein hauchzarter Schal mit seidener Stickerei und Fransen, ein Fächer mit Goldstäben, der mit einer zärtlichen Szene nach Watteau bemalt war, eine Schmuckgarnitur aus Diamanten und Topasen, die so zart in Gold gefaßt waren, daß sie fragil wirkten wie die Strahlen von Sonne und Mond, und schließlich ein Schleier aus geklöppelter Valenciennesspitze, leicht und ätherisch wie Spinnweben, den man unter enormen Kosten aus Europa hatte kommen lassen, wußte Angeline, warum die Morgengabe verspätet kam. Andre mußte die Läden von New Orleans durchforstet haben, um diesen Korb zu füllen, und er hatte dabei keine Ausgaben gescheut.
Den Schleier wollte sie heute tragen. Er fiel ihr über die Schulter bis zu den Hüften. Maria kam, half ihr ins Kleid und frisierte sie.
Endlich war sie bereit. Die Kutsche fuhr vor. Angeline ging die Treppe hinunter in den Garten. In der Hand hielt sie ein Bukett aus Spiräen und Veilchen, Maria trug ihr den Koffer. Als sie durch die Pforte auf die Straße trat, stand ein livrierter Lakai bereit, um ihr in die wartende Kutsche zu helfen. Der Schlag wurde zugeworfen und der Koffer aufs Dach geladen. Der Wagen fuhr an. Angeline hob die Hand zu einem Abschiedsgruß für Maria, die auf dem Trottoir stehenblieb, dann lehnte sie sich in die Polster zurück, um ruhig zu werden, denn sie wollte eine heitere Braut abgeben, wenn sie vor der Kirche vorfuhr.
Bei der ersten Straßenkreuzung ertönte hinter ihr das Klappern von Hufen. Eine weißuniformierte Gestalt ritt an das Wagenfenster heran, und noch eine und noch eine. Angeline richtete sich auf, doch weder Gustav noch Leopold oder Oswald würdigten sie eines Blickes. Sie starrten geradeaus und saßen so steif auf
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