Strom der Sehnsucht
hin, durch die Rolf mit der Delegation verschwunden war, und flüsterte sich leise Kommentare zu. Die beste Sängerin der Welt hätte angesichts eines solchen Ereignisses nicht vermocht, die Aufmerksamkeit der Gäste zu fesseln. Schon nach drei Arien klingelte die Gastgeberin nach Kaffee und Weinbrand. Die Diva verabschiedete sich ungnädig unter dem Vorwand einer Probe, aber die anderen blieben noch, um eifrig über die neueste Entwicklung der faszinierenden Geschichte des Monarchen zu diskutieren, der sich mitten unter ihnen befand. Angeline schlug Andre vor, nach Hause zu gehen, der aber schüttelte entschieden den Kopf und geleitete sie zu einer Nische mit einer samtgepolsterten Bank.
»Sie dürfen jetzt nicht davonrennen«, sagte er und stellte sich vor sie, als sie sich auf den Sitz sinken ließ. »Das würde alles zunichte machen, was wir erreicht haben.«
Sie lächelte matt. »Ich bin Ihnen für Ihre Fürsorge dankbar, Andre, doch mir liegt nicht mehr viel an all dem.«
»Es ist aber wichtig. Rolf wird in seine Heimat zurückkehren -gerade jetzt kann man ihm keine Hindernisse in den Weg legen -, und Sie müssen hierbleiben. Wie die Dinge liegen, wird einiges gemunkelt, aber niemand kehrt Ihnen den Rücken zu oder lehnt es ab, Sie zu besuchen.«
»Noch nicht, Andre, aber wie wird es in ein paar Monaten sein?«
»Besser, hoffe ich, denn ein neuer Skandal wird das allgemeine Interesse auf sich ziehen.«
»Nicht, wenn... wenn man sieht, daß ich ein Kind erwarte.«
»Wenn...« Seine olivbraune Haut wurde fahl, er setzte sich neben sie auf die Bank und legte ihr die Hand auf die eiskalten Finger, die sie auf dem Schoß gefaltet hatte. Als er wieder zum Sprechen ansetzte, lag neue Entschiedenheit in seiner Stimme.
»Wenn Sie sichtbar enceinte sind, wird man nichts zu reden haben, denn Sie werden schon monatelang mit mir verheiratet sein. Wir gehen aufs Land, auf die Plantage. Wir haben eine ausgezeichnete Hebamme dort. Die letzten Wochen ziehen Sie sich, wie es der Brauch ist, vom gesellschaftlichen Leben zurück, und, wenn nötig, werden wir mit der Bekanntgabe der Geburt und der Kindstaufe ein wenig warten.«
»O Andre, ich wollte nicht...«
»Ich weiß«, unterbrach er sie. »Sie sind meinem Antrag oft genug ausgewichen. Diesmal lasse ich es nicht zu. Sie werden mich heiraten, sobald es sich arrangieren läßt.«
Es ist alles so einfach, dachte Angeline. Andre wird einen guten Ehemann abgeben. Er wird mir bestimmt nie Vorwürfe machen oder mir sein Vertrauen entziehen. Mit der Zeit werde ich lernen, ihn gern zu haben, schon wegen seiner Großzügigkeit und Verläßlichkeit.
»Ich kann nicht zulassen, daß Sie dieses Opfer bringen«, erwiderte sie leise.
»Es ist kein Opfer, sondern eine Ehre.«
Seine braunen Augen waren so sanft, ganz anders als Rolfs strahlende, lebhafte blaue. Seine Gefühle und Pflichten waren unkompliziert. In seiner Gesellschaft gab es keine großartige geistige Anregung, dafür aber Ruhe und Behaglichkeit; keine tiefe Leidenschaft, sondern stille Freuden.
»Ich werde... versuchen, Sie glücklich zu machen.«
»Das haben Sie bereits«, erwiderte er und führte ihre Hand an seine Lippen. Sein Schnurrbart streifte prickelnd über ihre Fingerspitzen.
Andre zog Angeline von der Bank und führte sie in den Saal. »Hört zu, Ihr Lieben! Maman!<< rief er aus. »Ich bin der glücklichste Mensch in New Orleans. Angeline hat gerade eingewilligt, meine Frau zu werden.«
Auf Helene Delacroix’ Gesicht kämpfte Bestürzung mit der Freude über die Begeisterung ihres Sohnes. Doch es war nicht die Reaktion ihrer zukünftigen Schwiegermutter, die Angelines Aufmerksamkeit fesselte. Es war der Mann, der jetzt wieder hereinkam.
Als er von der Verlobung hörte, blieb Rolf stehen. Einen Moment lang sah er wie vernichtet aus. Dann trat er mit einem anmutigen Lächeln auf Andre zu und gratulierte ihm herzlich.
»In den nächsten Tagen reisen wir ab, meine Begleiter und ich«, sagte er. »Aber vorher, mein Freund und Leidensgenosse, gebe ich mir die Ehre, an Eurer Hochzeit teilzunehmen.«
Rolf richtete die Worte an Andre, als er ihm die Hand schüttelte, aber sein Blick streifte Angeline, und da wußte sie, daß sie für sie bestimmt waren.
Warum nur? Warum tat er das? Sollte es eine subtile Bestrafung sein oder ein weiterer Versuch, ihren Ruf wiederherzustellen, indem er seine Gleichgültigkeit demonstrierte? Fühlte er sich verpflichtet, sie vor seiner Abreise unter die Haube zu bringen?
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