Stromschnellen: Roman (German Edition)
Laut von sich gegeben, den sie hätte erwidern können, aber es war stumm geblieben.
Der Indianer presste sein Gesicht in ihr Haar und raunte: »Ich glaube, du bist ein Flussgeist.«
»Ich bin kein Flussgeist. Warum wollt ihr Männer aus uns Mädchen immer etwas anderes machen, als wir sind?« Sie war auch kein Wolfskind, wie Michael sie genannt hatte. Und selbst die Kosenamen ihres Großvaters, Elfe und Flussnymphe, hörten sich jetzt komisch an, als habe er sie nicht einfach sein lassen, was sie war: ein Mensch.
»Weil es besser wirkt«, antwortete er. »Aber nichts könnte besser wirken, meine Liebe, als du nackt an diesem geschichtsträchtigen Ort.« Er schob das Haar aus ihrem Nacken und streichelte ihre Schultern. Als er die Flasche ausgetrunken hatte, küsste er sie. Auch diesmal fiel Margo beim besten Willen kein Grund ein, warum sie ihrem Körper nicht vertrauen sollte.
Doch diesmal war er anders. Diesmal kam er über sie wie Flutwasser, das flussabwärts drängt. Er sog an ihren Brüsten, als wollte er an ihnen trinken.
»Wie heißt du?«, flüsterte sie. Wie auch immer diese Erfahrung enden würde, sie wollte sie nicht versäumen, aber die Verwandlung des Indianers machte ihr Angst. »Wer bist du?«
»Ich weiß meinen Namen nicht. Ich schwör dir, ich kenne ihn nicht«, sagte er leise an ihrer Brust, und sie spürte, wie sein Unterkiefer an ihrem Brustbein rieb. Er holte tief Luft und hauchte seinen heißen Atem auf sie. »Aber wir werden nie wieder im Land meiner Vorväter sein.«
»Jetzt klingst du wie ein Indianer«, sagte sie.
Er schob sich auf sie, und sie drängte sich ihm entgegen. Ihre Körper bewegten sich auf den Schlafsäcken und Fichtennadeln mit solcher Kraft, dass Margos Innerstes bebte. Mit ihm auf sich war ihr zu warm, doch selbst als sie sich rittlings auf ihn setzte, verschaffte ihr die herbstliche Nachtluft keine Kühlung. Der Indianer zog sie fest an sich, und zusammen bildeten sie eine Flutwelle, die sich durchs Flusstal wälzte, das Land überspülte und alles mit sich fortriss, was nicht vertäut war. Margos Zähne klapperten. Das Rauschen des Flusses und das Klatschen der Karpfen auf der Wasseroberfläche erfüllten die Luft um sie herum, und über ihnen quiekten und kreischten die Flughörnchen. Der Boden unter ihnen, eben noch kühl, verströmte jetzt Hitze.
Als der Indianer schließlich von ihr herunterrollte, waren sie beide klatschnass von Schweiß. Margo kriegte kaum Luft. Sie lag still da und rechnete damit, Dampf von ihren Körpern aufsteigen zu sehen. Minuten später war sie immer noch außer Atem. Als er einschlief, schmiegte sie sich an ihn und lauschte dem gurgelnden Fluss.
Sie fiel in eine Art Dämmerzustand, doch ihr Körper blieb wach und rang mit sich. Margo streckte die Hand nach der Schachtel mit der Asche ihres Vaters aus, aber sie war ihr zu heiß. Nach einer Weile schlief sie dann doch ein und träumte vom Bärenmarder: Er war so groß wie der schwarze Hund und hatte das Gesicht eines Wiesels; dann verwandelte der Bärenmarder sich in einen Fisch, der so groß wie Paul war und den Fluss heraufgeschwommen kam, und im Traum erschoss sie Paul und spürte, dass es etwas Schreckliches war, einem Menschen das Leben zu nehmen.
Margo erwachte aus dem Traum, als der Indianer sie an sich zog. Sie fühlte den kalten Reißverschluss seines geöffneten Schlafsacks an ihrem nackten Bauch. Als sie die Augen aufschlug, stellte sie fest, dass er sie aus seinen schwarzen Augen anstarrte. Margo erzählte ihm, dass sie von einem großen Fisch geträumt hatte, und er flüsterte: »Ich auch. Von einem Stör. Die gab es hier früher im Fluss, sie waren so groß wie Kühe.«
Erst später begriff Margo, wie verrückt es war, dass sie beide vom selben Riesenfisch geträumt hatten. Am Morgen blieb sie reglos liegen, zu erschöpft, um sich zu bewegen oder etwas zu sagen, als der Indianer sich von ihr zurückzog und in Richtung Auto davonstolperte. Schlafsack und Campingmatte, Pfanne und Beil ließ er zurück. Margo versuchte nicht, ihn aufzuhalten.
Am helllichten Tag schlug sie die Augen auf, sie war immer noch wie gerädert. Alles tat ihr weh. Wohin sie auch fasste, entdeckte sie Steinchen, Fichtennadeln und Pflanzen auf ihrer Haut. Unter ihrem Schlafsack lag ein kleiner Lederbeutel mit einem schlichten Perlenmuster und Kordelzug, darin steckten ein zusammengefalteter Zettel und eine Rolle Zwanzigdollarscheine.
Leb wohl, Margo , las sie. Ich bin meiner Frau in den drei
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