Stromschnellen: Roman (German Edition)
Ernährung betraf, gut versorgt, und sauberes Wasser holte sie sich an der Handpumpe neben der Scheune.
Margo versteckte den Rucksack in einer Astgabel im Windschutz, ging mit der Büchse weiter flussaufwärts, zwängte sich am Viehzaun vorbei und durch ihn hindurch, um auf die Kuhweide und wieder von ihr herunterzugelangen, und stand kurz darauf an dem weißen Haus des alten Mannes. Sie hatte ihn an den meisten Tagen heimlich beobachtet. Oft hatte er allein im Rollstuhl auf der mit Steinplatten ausgelegten Terrasse gesessen und durch die dunkle Brille hinunter aufs Wasser gestarrt. Wenn die Sonne auf ihn fiel, glänzte sein Haar in hellem Silber.
Heute war der Alte nicht draußen. Margo wagte sich auf die Terrasse und kickte mit den Füßen die hübschen orangefarbenen und gelben Ahornblätter weg, die darauf verstreut lagen. Dann ging sie die steilen Stufen hinunter und auf das Boot mit dem kleinen Wohnwagen. Wieder gab es nur leicht unter ihrem Gewicht nach. Das Vorhängeschloss war offen, und als sie den Aluminiumknauf drehte, schwang die Tür auf, und modriger Geruch schlug ihr entgegen. Im Innern erblickte sie ein schmales Hochbett und eine breitere untere Schlafkoje, die in einen Tisch mit Stühlen umfunktioniert werden konnte, einen Gaskocher mit zwei Herdplatten, wie Brian einen besessen hatte, einen Backofen, groß genug für eine Kuchenform, und den kleinsten Holzofen, den sie je gesehen hatte. Sie öffnete die Feuerklappe und stellte fest, dass die Brennkammer etwa zwölf mal fünfzehn mal acht Zoll maß. Dafür musste man das Holz besonders klein hacken. In der Wand dahinter führte ein rund sechs Zoll starkes Abzugsrohr nach draußen.
Margo hörte Gebell, und als sie aufs Deck hinaustrat, stand der schwarze Hund schwanzwedelnd vor ihr. Der alte Mann saß auf der Terrasse, gesprenkeltes Sonnenlicht glitzerte auf seinem Rollstuhl und seinem silbrigen Haar. Er winkte sie zu sich, und sie gehorchte. »Was willst du, mein Kind?«, fragte er.
Margo konnte ihn wegen seines pfeifenden Atems kaum verstehen, aber dann fiel ihr ein, wie er beim letzten Mal gesagt hatte, wenn sie duschen wollte, müsse sie ihn fragen.
»Kann ich eine Weile in Ihrem Wohnwagen schlafen?«
Der Mann räusperte sich unter Schmerzen. Seine Haut war bleich und leicht feucht, das Haar klebte ihm an der Stirn.
»Sie sehen kränker aus als beim letzten Mal«, stellte Margo fest. Als der Hund sich neben dem Rollstuhl niederließ, kniete Margo sich neben ihn und tätschelte ihn mit beiden Händen.
»Es gibt gute und schlechte Tage. Ich hab ein Emphysem, aber die Ärzte sagen, dass ich nicht daran, sondern an den Tumoren sterben werde.« Wieder räusperte er sich. »Es sei denn, du ersparst uns allen eine Menge Scherereien und erschießt mich.«
»Soll ich Ihnen noch mal eine Zigarette aus dem Mund schießen?«
»Ja, aber stell dich diesmal genau vor mich!« Er tippte auf seine Stirn, um ihr zu zeigen, wo die Kugel hinsollte. »Eigentlich war ich zu müde, um rauszukommen, aber dann hab ich dich gesehen und mir gesagt, dem Kind da sollte ich wohl mal den Hintern versohlen.«
»Ich bin kein Kind mehr.«
»Verglichen mit mir ist jeder ein Kind.« Er unterdrückte ein Husten. »Sogar Leute in meinem Alter sehen neben mir wie Kinder aus.«
»Wie viel wollen Sie für Ihr Boot? Ich hab Geld.«
»Von wegen Geld. Du hast ein Gewehr und einen Suppentopf. Und ein großes Küchenmesser, das mir gehört, wenn ich mich nicht irre.«
»Das Messer kriegen Sie wieder. Ich hab es mir nur geborgt. Aber meine Büchse kann ich Ihnen nicht geben.«
»Ich hab selbst zwei Büchsen und eine Flinte, aber ich kann sie nicht mehr ruhig halten. Das olle Messer kannst du behalten. Es ist sowieso nicht mein bestes. Ich hab mein Leben lang als Setzer gearbeitet, und jetzt kann ich nicht mal mehr eine Schraube festziehen oder Fleisch klein schneiden.« Zur Veranschaulichung seiner Worte streckte er eine blasse, zitternde Hand aus.
»Kann ich mir den Wohnwagen noch mal von innen ansehen?«
»Nix da! Ich kann kein Kind gebrauchen, das auf meinem Boot schläft. Was sollen die Nachbarn denken?«
»Ich könnte Ihnen als Gegenleistung zur Hand gehen«, schlug Margo vor. »Ich könnte die Terrasse fegen. Ich könnte für Sie kochen und das Fleisch klein schneiden.«
»Mein Freund Fishbone hat gesagt, dass er dich vor zwei Wochen an dem Abend, an dem du hier warst, mit einem Mexikaner drüben auf der Farm gesehen hat.«
»Er ist Indianer. Aber egal, er ist weg.«
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