Stromschnellen: Roman (German Edition)
aber es wollte nur Mais wachsen.«
»Wie konnte eine Beutelratte die Leiche ans Ufer schleppen?« Margo streckte die Beine neben dem Feuer aus und schob Cranes Asche ein Stück weg. Der dunkle Himmel war dicht gestirnt.
»Keine Ahnung«, meinte er. »Irgendwie hat sie es geschafft.«
»Eine Beutelratte wiegt nur etwa vier Kilo. Und die Vorderfüße sind so winzig wie Puppenhände. Ich schieße eine, dann können Sie sich die ansehen.«
»Vielleicht haben ihr andere Beutelratten geholfen, oder es war eine richtig große Beutelratte. Wenn du dich auf die Beutelratte versteifst, begreifst du nicht, was uns die Geschichte sagen will.« Der Indianer streckte ebenfalls die Beine aus und stieß dabei mit den Halbschuhen gegen ihre Stiefelspitze.
»Eine Beutelratte würde niemandem helfen.« Es bereitete Margo ein sonderbares Vergnügen, sich mit dem betrunkenen Indianer auf eine Weise zu streiten, wie sie es mit ihrem Vater oder Brian nie hätte tun können. Auch Michael hatte jedes Mal verzweifelt gewirkt, wenn sie nicht seiner Meinung gewesen war. »Beutelratten haben ihren eigenen Kopf. Sie gehen nicht, sie watscheln. Und sie haben drei Reihen scharfer Zähne.«
»Du kapierst nicht, worum es geht. Die junge Frau wollte ihren Garten und keinen Mann. Hätte sie geheiratet und wäre nach Norden gegangen, hätte sie die Gartenarbeit aufgeben müssen.«
»Ich geh lieber jagen.« Zum ersten Mal im Leben hatte Margo das Gefühl, dass Reden genauso ein Vergnügen sein kann wie Schießen. Sie überlegte sich, was sie dem Indianer alles erzählen könnte, wenn sich die Gelegenheit dazu bot, etwa dass ein Hirsch auch mal einen Fisch fraß oder dass ein Reiher eine Schlange verschlucken und sich die Schlange trotzdem noch wieder befreien konnte. Dass sie etwas zu sagen hatte, womit er sich auseinandersetzen würde, erfüllte sie mit einem warmen Gefühl.
»Wenn du Indianerin wärst, würdest du verstehen, dass diese Geschichte einem das Herz bricht. Genau darauf verstehen sich junge Frauen nämlich: Herzen brechen. Das ist eine ihrer Stärken.«
»Ist Ihre Frau Indianerin?«
»Sie ist zu einem Viertel Sioux. Aber lass uns jetzt nicht über sie reden.«
»Sitting Bull hat Annie Oakley in der Wild West Show auch Geschichten erzählt.«
»Sitting Bull war ein toller Mann. Die Wild West Show war eine Schmach für seine empfindsame Seele.« Der Indianer sprach schon etwas undeutlich. Er hielt die Flasche hoch: Sie war noch zu zwei Dritteln gefüllt. »Ich glaube, in diesem Whiskey ist irgendwas Komisches drin. Vielleicht Stechapfel. Ich sehe Dinge, die gar nicht da sind.«
»Ich würde gern wie die Indianer am Fluss wohnen«, sagte Margo. »Nicht nur in einem Haus in Flussnähe.«
»Die Indianer haben nie am Fluss gewohnt«, widersprach er ihr. »Der Fluss war nur ihr Highway. Sie haben sich höher gelegene Plätze gesucht, damit sie im Blick hatten, wer kommt und geht. Wir hatten früher eine Menge Feinde. Die Männer haben sich ständig mit irgendeinem anderen Stamm bekriegt.«
»Ich hab an diesem Fluss keine Feinde.«
»Du hast genau solches Haar wie meine Frau. Komm, ich kämm es dir«, schlug der Indianer vor. Er trank noch einen Schluck und zog einen Kamm aus einer kleinen Tasche mit Reißverschluss. »Ich bürste meiner Frau immer die Haare.«
Seit Margo ein kleines Mädchen gewesen war, hatte ihr niemand mehr das Haar gekämmt. Der Indianer ging behutsam vor, er begann bei den verfilzten Spitzen und wurde nicht ungeduldig oder zog an den Haaren wie ihre Mutter oder Joanna. Jedes Mal, wenn seine Hand sie streifte, errötete sie, und ihr Körper schien anzuschwellen. Als er fertig war, legte er die Arme um sie und zog ihren Rücken an seine Brust. Sie ließ es geschehen und entspannte sich, als wäre sie in den Fluss gesprungen und ließe sich in der Strömung treiben. Er küsste ihren Nacken, und da drehte sie sich um und presste ihren Mund auf seinen. Das hatte sie nicht vorgehabt, aber sie vertraute darauf, dass sie es wollte.
Sie liebten sich lange und rollten über die weichen Fichtennadeln. Margo war, als dehnten sich die Sekunden zu Stunden, als wären die normalen Gesetze der Zeit außer Kraft gesetzt. Noch nie hatte sie mit einem Mann unter freiem Himmel geschlafen. Der Wind gab ihnen etwas und auch das vorbeifließende Wasser, und jedes Wesen, das über den Boden kroch oder huschte, in ihrer Nähe vorbeiflog, im Fluss schwamm oder planschte, übertrug ihnen etwas von seiner Kraft. Nach einer Weile schien
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