Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stromschnellen: Roman (German Edition)

Stromschnellen: Roman (German Edition)

Titel: Stromschnellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bonnie Jo Campbell
Vom Netzwerk:
sie wieder herauskam, konnte sie dem Rinnsal zu immer größeren Bächen und schließlich bis zum Kalamazoo folgen. Und dann brauchte sie nur noch den Fluss hinauf bis zu ihrem Boot zu gehen.
    Sie zog eine der lackierten Stahltüren auf, die genau wie die Türen ihrer Highschool in Murrayville aussahen. Der grüne Teppichboden im Eingangsbereich dämpfte ihre Schritte.
    Margo steuerte auf die Theke unter dem Schild ANMELDUNG zu. Die Empfangsdame im rot-grünen Pullover, die dahinter saß, lächelte sie ruhig an.
    »Guten Tag. Kommst du zu einer Beratung?« Mit der molligen Figur und dem lockigen Haar erinnerte sie Margo an ihre Lehrerin aus der fünften Klasse, die sich passend zu jedem Feiertag gekleidet hatte, sogar am »Tag der Toten«, dem Tag nach Halloween, an dem sie sich Skelettknochen auf Gesicht und Arme gemalt hatte. Hinter dem Schreibtisch gab es gold-grüne Girlanden und auf der Theke einen von Elfen umringten Weihnachtsmann. »Ist das dein erster Besuch hier?«
    Margo nickte. Die Empfangsdame kritzelte Margos Namen auf ein Papier und reichte ihr ein Klemmbrett mit einem zusammengehefteten mehrseitigen Formular. »Du kannst dort drüben Platz nehmen und schon mal damit anfangen. Melde dich einfach, wenn du Fragen hast. Die Schwester ruft dich in ein paar Minuten auf.«
    Während Margo durch die Eingangshalle auf den Wartebereich zuging, erinnerte sie die parfümierte Luft an Fishbones Duftbäumchen, nur dass der Geruch hier noch schlimmer war und sie beinahe hätte niesen müssen. Das grelle Neonlicht schmerzte in ihren Augen, und vielleicht kam von diesen Lampen auch das dumpfe Summen, das ihr das Gefühl gab, ihre Ohren wären verstopft. Bei Smoke zu Hause saßen sie immer im Sonnenlicht, das durchs Fenster fiel, manchmal aber auch im Dunkeln, weil Smoke das als erholsam für seine Augen empfand. War Margo hingegen auf der Glutton und reinigte ihre Büchse, fettete ihre Stiefel ein, las Bücher oder flickte ihre Kleider, tat sie das im Licht einer Öllampe – Smoke hatte ihr eine Flasche rußfreies Lampenöl geschenkt und sie überredet, kein Kerosin mehr zu verwenden. Jetzt sehnte sie sich nach dem gedämpften Schwappen des Flusses unter ihren Füßen.
    Im Wartebereich saßen noch zwei weitere Frauen, eine in Margos Alter und eine ältere. Beide hielten Zeitschriften auf dem Schoß. Margo setzte sich und machte sich daran, das Formular auszufüllen. Als Adresse (ein Postfach wurde nicht akzeptiert) trug sie Smokes ein, strich sie gleich darauf jedoch wieder durch, weil sie befürchtete, er könnte Ärger mit seinen Nichten bekommen.
    Die Tür ging auf, und eine Schwester rief die jüngere der beiden Frauen auf. Die Frau schlug die Zeitschrift zu und legte sie so ordentlich zurück auf den Tisch, dass sie mit der darunterliegenden Zeitschrift Kante auf Kante lag. Die ältere Frau musterte sie flüchtig.
    Im Formular wurde nach dem Zeitpunkt von Margos letzter Periode gefragt, und sie versuchte nachzurechnen, aber der Kalender an der Wand hatte keine Mondphasen. In den letzten paar Monaten war ihr dieses Problem erspart geblieben, hatte sie nicht fünf Tage lang die benutzten Tücher waschen und trocknen müssen. Im Formular wurde auch gefragt, ob in ihrer Verwandtschaft jemand Bluthochdruck oder einen erhöhten Cholesterinspiegel hatte. Margo stand auf, trat ans Fenster und schaute hinaus. Sie sah Schneematsch, signalgelb angemalte hohe Bordsteinkanten, ein Dutzend weit auseinander parkende Autos und schließlich Fishbones Pick-up. Die Demonstranten riefen einem vorbeigehenden Mädchen im Sprechchor etwas zu, woraufhin das Mädchen sein Gesicht verbarg. Margo tastete an ihrer Schulter nach dem Gewehrriemen. Als das Mädchen die Eingangshalle betrat, ging Margo zu ihrem Stuhl zurück. Ein Gemälde an der Wand zeigte ein weißes Farmhaus, ähnlich dem der Murrays, mit einer großen roten Scheune daneben. Sie stellte sich vor, wo der Fluss verlaufen würde – gleich unterhalb des Bildes – und wie sie vor langer Zeit neben der Scheune Zielschießen geübt hatte. Das Summen der Lampen oder der Geräte hinter den geschlossenen Türen wurde lauter. Margo atmete tief durch und konzentrierte sich wieder auf den Fragebogen. Sie wurde nach ihrer Versicherung gefragt. Auf der letzten Seite stand: »Sind Ihnen die folgenden Verfahren verständlich?«, und es folgten drei Möglichkeiten, die ihr vorkamen, als wären sie in einer Fremdsprache verfasst.
    Margo kehrte zur Sparte »Vorerkrankungen« zurück. Ob sie

Weitere Kostenlose Bücher