Stromschnellen: Roman (German Edition)
Halskette, Ohrringe sowie mit türkisfarbenen Steinen besetzte Ringe.
Margo folgte ihr zum Wagen.
»Was war eigentlich letzte Nacht los, Margo?«, fragte Luanne, als sie rückwärts auf die Straße fuhr. »Ich habe gerade auf dem Anrufbeantworter eine Nachricht von meinem Nachbarn abgehört. Er behauptet, letzte Nacht hätte ein Landstreicher in meinem Garten herumgezündelt.«
»Ich konnte nicht schlafen.«
»Ohne Genehmigung darfst du kein Feuer machen, es sei denn an einer dafür vorgesehenen Feuerstelle. Mr Smith hatte Angst, du würdest seinen Zaun abfackeln.«
»Ich war ein ganzes Stück von seinem Zaun entfernt.«
»Warum warst du so spät nachts überhaupt draußen?«
»Ich geh nachts gern ein bisschen raus, um zu schauen, was sich so tut.« Sie hatte keine Rufe von Nachtvögeln gehört, nur einen Waschbären, der beim Nachbarn auf die Veranda geklettert war. »Übrigens hab ich das Fenster in meinem Zimmer nur einen Fingerbreit aufgekriegt.«
»Das liegt an den Sicherheitsschlössern. Außerdem ist es zu kalt, um die Fenster zu öffnen.«
»Warum habt ihr eigentlich keinen Hund?«
»Roger will keinen Hund«, antwortete Luanne seufzend. Sie fuhr von der Uferstraße auf einen zweispurigen Highway. »Und ich auch nicht. Du weißt doch, dass ich noch nie einen Hund haben wollte.«
Margo drückte auf einen Knopf und stellte fest, dass sie damit die Tür ver- und wieder entriegeln konnte. Schließlich fand sie den Schalter, mit dem sie das Fenster herunterlassen konnte, und öffnete es einen Spaltbreit. Sie wollte ihrer Mutter nicht auf die Nerven fallen, aber es ging alles zu schnell. Die Abstände zwischen den Häusern am Straßenrand wurden größer, und Margo sah ein Schild mit der Aufschrift A HORNSIRUP ZU VERKAUFEN . An der Veranda des Hauses waren zwei Schäferhunde angeleint. Margo blickte über die Schulter zurück und sah, wie sie immer weiter in die Ferne rückten.
»Bist du eigentlich froh, dass du mich gekriegt hast?«, fragte sie. In diesem Augenblick trat ihre Mutter auf die Bremse, und Margo wurde ein bisschen nach vorn geschleudert. Direkt vor ihnen fuhr ein Auto rückwärts aus einer Ausfahrt.
»Schnall dich an!«, forderte Luanne sie auf.
»Oder wäre es dir lieber, du hättest mich nicht gekriegt?« Margo zog den Gurt über die Schulter und hatte eine Weile damit zu kämpfen, bis sie ihn angelegt hatte.
»Natürlich bin ich froh, dass ich dich gekriegt habe. Sieh dich doch an! Aber ich hatte damals einen Mann an meiner Seite. Ich war nicht allein, wie du.«
»Ich bin nicht allein.«
»Willst du denn ein Kind haben?«
»Nein, ich glaube nicht.«
»Okay.« Luanne gab wieder Gas.
Margo musterte das anscheinend makellose Gesicht ihrer Mutter.
»Warum siehst du mich so an?«, fragte Luanne und lächelte.
»Egal, was passiert, ich komm schon klar, Mama.«
»Natürlich, es ist kein komplizierter Eingriff.«
»Hattest du auch schon einen?«
»Es war wirklich nicht schlimm. Es war besser so, eine Erleichterung. Ich muss nur noch schnell was zur Post bringen. Du gehst schon mal in die Klinik, holst dir den Fragebogen und setzt dich hin. Ich bin in zehn Minuten bei dir.«
»Ich bin froh, dass ich dich gefunden habe«, sagte Margo. Sie hätte gern einen kleinen Bruder oder eine Schwester gehabt. Vielleicht eine Schwester in Julie Slocums Alter, jemanden, dem sie das Angeln oder Rudern hätte beibringen können – oder wie man sich Probleme vom Leib hält. Oder eine ältere Schwester hätte vielleicht Margo die Probleme vom Leib halten können.
»Ich bin auch froh«, antwortete Luanne und tätschelte Margos Oberschenkel. »Ich bin froh, dass ich endlich etwas für meine Kleine tun kann.«
Luanne fuhr vor die Klinik und kramte in ihrer Handtasche. Als ein paar Demonstranten mit Schildern auf den Wagen zusteuerten, ließ Luanne die vorderen Fenster herunter und rief: »Haut ab, ihr Spinner! Oder ich fahr euch über den Haufen. Außerdem habe ich Pfefferspray dabei.«
Die Demonstranten wechselten einen Blick und verzogen sich.
»Ich bin dir dankbar für alles, was du für mich tust, Ma«, sagte Margo. Es gefiel ihr, ihre Mutter so in Fahrt zu sehen.
»Mach dir nicht zu viele Gedanken. Geh einfach rein. Sag ihnen, du bist achtzehn, hast keine Einkünfte und weißt nicht mal den Namen des Vaters. Heute werden sie dich nur untersuchen, aber vielleicht geben sie dir Valium, damit du die Zeit bis zum Eingriff gut überstehst. Sag ihnen auch, dass du nicht selbst Auto fahren musst,
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