Stromschnellen: Roman (German Edition)
er noch im Bett gelegen. Sie hatte ihn hochgezogen und ihm beim Anziehen geholfen.
»Fishbone ist auch noch da«, sagte Smoke. »Wenn ich nicht mehr bin, nimmt er Nightmare zu sich, als Beschützer für seine Frau.«
»Fishbone findet, dass ich zu meiner Mutter ziehen soll. Und er redet ständig davon, dass ich das verflixte Baby behalten soll.« Bei der Vorstellung, dass Fishbone den Hund mitnehmen würde, wurde Margo schwer ums Herz.
»Schreib deine Mutter nicht ab«, flüsterte Smoke. »Vielleicht kommt sie wieder zu Verstand. Und was das Kind angeht: Ich hab nicht den Eindruck, dass du dich mit Händen und Füßen dagegen sträubst.«
Margo nickte. Nachmittags ging sie nach Hause und kontrollierte ihre Fallen, aber sie waren leer. Dabei kreisten ihre Gedanken nicht etwa um ihr Baby, das in ihrem Bauch gut aufgehoben war, sondern einzig und allein um Smoke. Er wirkte so schwach. Er klang auch ernster als früher, fast unheimlich. Margo befürchtete, dass sie am nächsten Morgen nicht über die Weide zu Smoke gehen konnte, um ihm zu helfen, falls der Schneesturm diese Nacht heftig würde. Außerdem wollte sie ihm noch sagen, dass sie ihre Mutter nicht abgeschrieben hatte, jedenfalls nicht ganz.
Als der Wind nach Einbruch der Dunkelheit auffrischte, ließ Margo das Feuer im Holzofen herunterbrennen und bereitete mit Zeitungspapier und Kienspänen ein neues vor, zündete es aber nicht an. Sie schloss die Glutton zu und stapfte über die schneebedeckte Kuhweide zurück. Der Fluss hörte sich merkwürdig an, als würde entlang den Ufern Glas zersplittern. Margo betrat das Haus durch die flussseitige Tür, die nicht abgeschlossen war. Sie zog Stiefel und Parka aus und tappte auf leisen Sohlen zu Smokes Schlafzimmer. Im Gegensatz zum zugekramten Rest des Hauses war es nur spärlich möbliert, ja, nahezu leer. Margo schlüpfte in ihrer langen Unterwäsche zu Smoke ins Bett. Die Haushaltshilfe hatte tags zuvor die Bettwäsche gewechselt, und sie machte einen sauberen Eindruck. Ihre eigene Bettwäsche hatte Margo schon seit Längerem nicht mehr gewaschen, denn dazu hätte sie sie entweder mit zu Smoke nehmen oder im großen Topf waschen und zum Gefriertrocknen draußen aufhängen müssen.
»Ich will Sie nicht verlieren«, sagte sie mit einem lauten Flüstern. »Und ich will nicht, dass Sie mich allein lassen.«
»Ich bin nicht deine Mutter.«
»Das weiß ich.«
»Ich bin ein müder alter Mann.« Anfangs lag Smoke steif neben ihr, aber mit der Zeit entspannte er sich, so wie sich auch ihr Großvater neben ihr entspannt und an ihr gewärmt hatte. Gegen Ende war er so schwach und dünn gewesen wie Smoke. Er hatte Geschwülste groß wie Baumknoten unter den Armen, am Hals und in der Leistengegend gehabt. Smokes Geschwüre dagegen befanden sich in den Lungen. Margo strich mit den Händen über seine Schulterblätter. Er erschauerte, dann seufzte er. Sacht streichelte sie seine Schultern, seinen Brustkorb, sein Kreuz. Sie spürte die Hitze des Druckgeschwürs durch sein langes Unterhemd.
Mehrere Stunden lagen Smoke und sie so nebeneinander. Keiner von ihnen konnte richtig schlafen, weil sich die Nähe zu einem anderen Menschen so fremd und gleichzeitig so wohlig anfühlte, doch dann fing Smoke an zu husten. Er setzte sich auf die Bettkante, und der Uhr auf dem Nachttisch nach hustete er eine geschlagene Dreiviertelstunde. Der Minutenzeiger auf dem beleuchteten Ziffernblatt rückte nur langsam vor, aber Margo wagte nicht, sich zu rühren, etwas zu sagen oder Smoke anzufassen, weil sie Angst hatte, alles noch zu verschlimmern. Sie wusste, dass sie nur den Arm um seinen Hals zu legen und auf seine Kehle zu pressen brauchte, um seinem Ringen um Luft ein Ende zu machen. Sie konnte ihm Frieden bringen, und wenn sie mit beiden Daumen auf seine Luftröhre drückte, würde er sich bestimmt nicht wehren. Margo konnte sein Leiden hier und jetzt beenden, aber sie wollte nicht den Todesengel spielen. Nightmare lag still, aber wach auf dem Boden. Aus glitzernden braunen Augen beobachtete der Hund sein Herrchen.
Smoke stellte eine Flasche Codeinsirup auf den Kopf, um die letzten Tropfen daraus zu trinken. Er zupfte die Sauerstoffschläuche zurecht und beugte sich vornüber, sodass sein Körper die gebrechlichen Lungen wie eine Muschel umschloss. Als der Hustenanfall abgeklungen war, atmete er mit spitzen Lippen scharf ein und aus. Er stöpselte sich vom Sauerstoffgerät ab und zündete sich eine Zigarette an. Kaum hatte er sie zu
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