Stromschnellen: Roman (German Edition)
gerieben hatte, kehrte langsam die rosa Farbe zurück. Am liebsten hätte Margo sich an den Holzofen gestellt, aber sie wusste, sie würde nie wieder aus seiner wohligen Wärme herauswollen, wenn sie das tat. Als hätte er ihre Gedanken gelesen, stand Brian auf und legte ein paar Scheite vom Holzstapel hinter dem Ofen nach. Wieder überwältigte seine Größe Margo.
»Mir ist noch was zu Ohren gekommen«, meldete sich Paul wieder zu Wort. »Und Brian auch. Stimmt es, Maggie, dass dein Daddy Cal Murray den Schwanz weggeschossen hat?«, fragte er mit sich überschlagender Stimme. Margo war froh, dass sie neben Brian saß, der ruhig und ausgeglichen wirkte.
»Das ist kein Grund, geschmacklos zu werden«, sagte Brian und grinste, um klarzustellen, dass er diese spezielle Art von Geschmacklosigkeiten mochte. Dann runzelte er die Stirn. »Aber vielleicht ist es gut, wenn du weißt, was für Gerüchte so im Umlauf sind, Maggie.«
»Kann ich ein bisschen Wasser haben?«, flüsterte Margo.
»Sie kann sprechen!«, rief Brian. »Ich hab dich noch nie was sagen hören. Egal, sag nichts, wenn du nicht willst. Morgen sehen wir weiter.«
»Brian hat gesagt, er glaubt nicht, dass dein Daddy das getan hat«, fuhr Paul fort.
»Hör einfach nicht hin«, sagte Brian. »Du bleibst heute Nacht hier. Wir bringen dich hin, wo du hinmusst. Du kannst so lange bleiben, wie du willst. Musst du zur Beerdigung nach Hause?«
Margo schüttelte den Kopf. Es würde keine Beerdigung und auch sonst nichts geben.
Brian schenkte ihr ein Glas Wasser aus einem Kessel auf der Küchentheke ein. »Wir kochen das Brunnenwasser zur Sicherheit ab«, erklärte er.
Margo trank das Glas leer und ließ es nachfüllen.
»Und jetzt musst du was essen, Maggie«, verkündete Brian. »Wir haben noch ein bisschen Forelle und ein Steak von deinem Hirsch. Ich hab ihn euch abgenommen, um deinem Vater einen Gefallen zu tun, aber jetzt bin ich froh darüber, weil ich selbst noch keinen geschossen habe. Wahrscheinlich lockt ihr hübschen Mädels die Hirsche alle an, sodass für hässliche alte Männer wie uns keine übrig bleiben.«
Ungeachtet Pauls Beschwerden über die neuerliche Spielverzögerung zündete Brian den Gaskocher an und stellte wenig später einen orangefarbenen Teller mit etwas Fleisch, einer Portion Fisch inklusive Gräten, ein paar Kartoffelstücken und fettigen grünen Bohnen mit Speckstreifen vor Margo auf den Tisch. Während Paul und Brian ihr Spiel fortsetzten, aß Margo. Als Brian ihr ein Stück Weißbrot reichte, putzte sie damit den Teller sauber.
»Für eine kleine Göre haust du ordentlich rein«, bemerkte Paul.
»Stimmt, sie ist eine gute Esserin«, meinte Brian.
Margo hörte auf zu kauen.
»Nicht aufhören«, sagte Brian. »Es ist gut, dass du Appetit hast. Ohne Essen kann man nicht leben. Manche geben sich in schweren Zeiten auf und gehen vor die Hunde.«
Mit dem letzten Brotstückchen kratzte sie ein paar Fischreste vom Gerippe.
»Pauly, kannst du es fassen, dass dieser Ausbund an Liebreiz zu uns gekommen ist, um uns um Hilfe zu bitten?«
»Ehrlich gesagt, ist mir nicht wohl dabei, Brian. Wie alt schätzt du sie?« Paul redete über Margo, als säße sie nicht neben ihnen.
»Ich bin achtzehn«, sagte sie leise.
»Willst du nicht hierbleiben?«, schlug Brian augenzwinkernd vor. »Du könntest mir jeden Morgen Pfannkuchen backen und mir sagen, was für ein gut aussehender Mann ich bin! So ein Mädchen wie dich habe ich nämlich gesucht.«
»Um Himmels willen!«, rief Paul. »Bist du besoffen? Mit achtzehn ist sie höchstens halb so alt wie du. Und ich bin mir nicht sicher, ob sie wirklich schon achtzehn ist. Bei meinem Bruder muss man aufpassen, Maggie. Er bringt sich gern in Schwierigkeiten.«
»Möchtest du noch was essen?«, erkundigte sich Brian. Er trank einen Schluck Ingwerschnaps aus einer schon fast leeren Flasche und hielt sie ihr hin.
Margo schüttelte den Kopf, war sich aber nicht sicher, ob sie auch den angebotenen Nachschlag ablehnen sollte.
»Armes verirrtes Lämmchen.« Brian schraubte den Deckel auf die Flasche.
»Du solltest jetzt nicht hier, sondern bei deiner Mutter sein«, meinte Paul kopfschüttelnd.
»Ihr habt gesagt, dass ihr wisst, wo sie ist«, flüsterte Margo. Sie kramte in ihrer Hosentasche, öffnete den Geldbeutel und zog den Brief mit dem Absender in der Ecke oben links heraus.
»Sie war vor gut einem Jahr hier in der Gegend«, sagte Brian, nachdem er sich den Umschlag angesehen hatte. »Ich
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