Stromschnellen: Roman (German Edition)
hab sie ungefähr ein Dutzend Mal in Heart of Pines gesehen, zusammen mit einem Mann namens Carpinski. Das könnte seine Adresse sein. Ich hab es deinem Vater nie gesagt, aber sie war echt was fürs Auge. Nach ein paar Monaten ist sie weggezogen. Nach Florida, hieß es damals. Nicht weinen, Süße.«
»Ist doch klar, dass sie weint«, sagte Paul. »Sie ist noch ein Kind.«
Margo wischte sich die Augen mit dem Küchenpapier ab, das sie als Serviette benutzt hatte.
»Wir finden deine Mutter. Ich rede mit Carpinski. Der Typ ist okay. Er wohnt in so einem Zeltdachhäuschen am Dog Leg Lake. Du kannst hierbleiben, bis wir sie gefunden haben.«
»Bist du übergeschnappt, Brian? Dafür kann man dich einbuchten.«
»Wegen irgendwas werden sie mich früher oder später sowieso einbuchten. Dann schon lieber, weil ich einem Mädchen geholfen habe, als aus irgendeinem anderen Grund.« Brian roch nach Zigaretten, Ingwerschnaps und Fluss. Als er das Feuer schürte, verstärkte sich der Essensgeruch in der Hütte. Es wurde so warm im Raum, dass Paul seine Schafsfelljacke auszog.
»Cal Murray ist ein Schweinehund«, sagte Brian kopfschüttelnd, »und seinen miesen Charakter hat er direkt an Billy weitervererbt. Muss Billy für das, was er getan hat, ins Gefängnis?«
»Er wird dafür bezahlen«, sagte Margo leise.
»Hast du das gehört, Pauly? Die Kleine will Rache. Das wird dir drüber hinweghelfen, Maggie. Dein Daddy war ein feiner Kerl. Cal Murray und sein Junge wären nicht mal würdig, ihm die Stiefel zu lecken.«
Margos Blick wanderte wieder zu Pauls Augen. Sie wollte herausfinden, wodurch sich das, das er immer zusammenkniff, vom anderen unterschied. Als sie sein Missfallen spürte, blickte sie weg und lehnte sich Trost suchend an Brians Schulter, die wie eine feste Wand neben ihr war.
»Du willst uns also erzählen, dass im Augenblick niemand nach dir sucht?«, fragte Paul.
Sie schüttelte den Kopf, obwohl sie es nicht mit Sicherheit wusste.
»Wie alt bist du wirklich?«, wollte Paul wissen.
»Achtzehn.«
»Auch wenn mein Bruder anderer Meinung ist: Ich hab nicht mehr mit einer Minderjährigen rumgemacht, seit ich fünfzehn war«, behauptete Brian.
»Scheiße!« Paul schüttelte den Kopf.
»Pauly, was ist in dich gefahren? Man hat uns dazu erzogen, uns um verlorene Seelen zu kümmern. Willst du etwa sagen, dass wir ihr nicht helfen dürfen, weil sie zu hübsch ist?«
»Ich will damit nur sagen, dass du in deiner Situation vorsichtig sein solltest.« Mit einem Blick auf Margo schickte Paul hinterher: »Und sie sollte sich vor dir vorsehen.«
»Solange du hier nicht wieder Drogen bunkerst, brauchst du dir um mich keine Sorgen zu machen, Pauly.« Brian legte den Arm um Margo und zog sie kurz an sich.
»Glaub mir, Brian, sie braucht ihre Mutter oder so jemanden.«
»Keine Sorge, Maggie, wir finden deine Mutter, egal, wo sie hingezogen ist. Menschen verschwinden nicht so leicht«, tröstete Brian sie.
»Selbst wenn sie es drauf anlegen«, ergänzte Paul.
Trotz der Wärme fröstelte Margo. Das Blut schoss ihr in den vollen Bauch. Sie krümmte und streckte die Finger und wackelte in den Stiefeln mit den Zehen.
»Verdammt, Brian, du legst es darauf an, Ärger zu kriegen! Man wird sie als vermisst melden.«
»Ich lege es auf gar nichts an«, widersprach Brian und ließ Margo los, um die Karten auf den Tisch zu legen. »Der Ärger kommt von ganz allein zu mir, oder etwa nicht, Bruderherz?«
»Alles hausgemacht«, sagte Paul. »Frag einen von den Typen, mit denen du dich in letzter Zeit geprügelt hast. Falls sie überhaupt noch atmen.«
Brian zog ausgiebig an der Zigarette, die er sich angesteckt hatte. Margo spürte, wie die Luft im Raum sich veränderte und mit Spannung auflud, doch kurz darauf schüttelte Brian den Kopf und stieß lachend eine Rauchwolke aus. »Hör mal, Paul, ich schicke die Kleine nicht wieder raus in die Kälte. Also finde dich damit ab, dass sie so lang an diesem Tisch sitzen bleibt, wie sie will.«
»Na dann, es gibt auch Leute, die morgen arbeiten müssen«, meinte Paul. Bevor er sich auf den Heimweg machte, brachte er Margos Rucksack aus The River Rose herein. Brian bereitete ihr auf der Couch mit einem leicht modrig riechenden Laken und einer dicken Steppdecke aus dem Schlafzimmer ein Bett. Als Margo unter die Decke schlüpfte, schürte er noch einmal das Feuer und legte ein paar Holzscheite zum Trocknen auf den Ofen. Dann kniete er sich neben sie auf den Boden und stopfte die
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