Stromschnellen: Roman (German Edition)
Baumstämmen beladenes Pferdefuhrwerk vorbeikam. Eine lange, verworrene Geschichte drehte sich ums Töten und Verzehren von Klapperschlangen in Idaho. Er erzählte ihr von ein paar Männern, die mit einer ihrer Frauen im Boot auf einen See hinausgefahren und ohne sie zurückgekehrt waren. Keiner der Männer hatte gemerkt, dass sie fehlte, so froh waren sie über die Stille gewesen. Stunden später war die Frau aufgetaucht, sie war von der anderen Seite des Sees zu Fuß zurückgelaufen und hatte vor Wut gekocht. Er erzählte eine Geschichte über einen Beamten des Michigan Department of Natural Resources, der hiesigen Umweltbehörde. Der Mann war mit einem Freund zum Angeln in die Mitte eines See gefahren. Der Beamte von der DNR sah zu, wie sein Kumpel eine Stange Dynamit anzündete und ins Wasser warf. Zwanzig tote Fische stiegen an die Oberfläche, und der Mann sammelte sie ein. Als er noch eine Dynamitstange anzündete, sagte der Beamte: »Du weißt, dass ich dich dafür verhaften muss.« Da drückte ihm der Freund die angezündete Dynamitstange in die Hand und sagte: »Willst du quatschen oder fischen?«
Es erfüllte Margo mit einer Mischung aus Einsamkeit und Erleichterung, dass sie nicht mehr wie in ihrem bisherigen Leben auf die Farm der Murrays sah. Hier standen am anderen Ufer ein kleines Stück flussaufwärts ein schlichtes weißes, in den Wintermonaten allem Anschein nach unbewohntes Schindelhaus und keine Viertelmeile stromabwärts, von dem weißen Haus durch ein brachliegendes, mit niedrigen Bäumen und Brombeergestrüpp überwuchertes Grundstück getrennt, ein schmuckes gelbes Haus. Darin wohnten ein Mann, der einen grünen Jeep fuhr, eine Frau in einer eng anliegenden weißen Winterjacke und ein schrulliger großer Hund, offenbar eine Mischung aus Retriever und Irish Setter. Das Haus war in einigem Abstand zum Fluss erbaut, aber der Hund lag die ganze Zeit am Ufer und starrte ins Wasser. Margo hatte selbst nie einen Hund besessen – das »Haustierverbot« war einer der wenigen Punkte, in denen ihre Eltern sich einig gewesen waren –, aber sie hatte in ihrer Kindheit so viel Zeit mit den Hunden der Murrays verbracht, dass sie diese Tiere als natürliche Begleiter betrachtete. Bis zum nächsten Nachbarn auf Brians Seite des Flusses war es eine halbe Meile stromabwärts, dazwischen lag eine Art Urwald.
Nach Neujahr kam Margo auf die Idee, erneut an die ehemalige Adresse ihrer Mutter in Florida zu schreiben und den jetzigen Bewohner nach Informationen über Luanne zu fragen. Brian schlug vor, ihm eine Belohnung von fünfzig Dollar in Aussicht zu stellen, und bot an, diese zu zahlen. Die Antwort landete wieder in Brians Postfach. Die Adresse, die der Mann diesmal mitschickte, befand sich nicht etwa in Florida, sondern in Michigan, genauer gesagt in Lake Lynne, einer westlich von Murrayville und nördlich von Kalamazoo gelegenen Stadt. Margo brauchte Tage, um ein paar schlichte Zeilen zu Papier zu bringen, in denen sie keine Details über ihr Leben preisgab, sondern ihrer Mutter lediglich mitteilte, dass es ihr gut ging und sie sie gern besuchen würde. Brian schickte den Brief an die neue Adresse.
Die Monate vergingen, und Margo war froh, dass niemand sie suchte. Falls die Polizei oder die Murrays es überhaupt taten, dann nicht sehr gründlich. Ein paarmal hatte sie das Boot eines Sheriffs den Fluss hochfahren sehen, aber es war in Richtung Heart of Pines vorbeigerauscht und eine Weile später wieder zurückgefahren. Keiner kam, um sich nach einem vermissten Mädchen zu erkundigen. Mit sechzehn endete in Michigan die gesetzliche Schulpflicht – vielleicht war dies auch das Alter, in dem die Menschen aufhörten, sich um jemanden Sorgen zu machen. Margo hatte das Gefühl, dass Cal sie gar nicht unbedingt finden wollte.
In der kalten Jahreszeit verbesserte sie ihre Fertigkeiten beim Vorhalten , das heißt sie schoss bei Kaninchen und Eichhörnchen immer ein Stück vor den Körper der rennenden Tiere. Gelegentlich schoss, rupfte und briet sie eine der am Fluss überwinternden Enten, die zu den dort vorkommenden halb zahmen Kuriositäten zählten. Brian erledigte in der Stadt gegen Bares Gelegenheitsjobs, hauptsächlich Schneepflügen, bei dem sein Pick-up mit Vierradantrieb zum Einsatz kam, den er in der Stadt stehen hatte. Ihm und Paul gehörte ein Waldstück südlich von Heart of Pines, und dort fällte er Bäume, zerkleinerte die Stämme mit einem hydraulischen Holzspalter und lieferte das Feuerholz
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