Stromschnellen: Roman (German Edition)
beobachtete die Lichter in Michaels Haus. Sie bildete sich ein, seine über den Tisch gebeugte Gestalt beim Lesen erkennen zu können. Sie überlegte, ob er das Haus jeden Abend putzen musste, damit alles so sauber blieb, und ob es wirklich Mädchen gab, die von Wölfen aufgezogen worden waren.
Sie hatte jetzt keine Streichhölzer mehr, also konnte sie den Ofen und die Lampe nicht wieder anzünden, wenn sie nachts ausgingen. Und Paul konnte jederzeit auftauchen! Obwohl es schon spät war, musste sie die Hütte verlassen, zumindest so lange, bis sie sicher sein konnte, dass Paul an diesem Abend nicht mehr kam. Die Tankstelle hatte bis zweiundzwanzig Uhr geöffnet. Sie zog einen von Brians Wollpullovern über Michaels Sweatshirt und trug die Steppdecke zum Boot für den Fall, dass es richtig kalt würde. Sie schlug die Marlin in die Decke ein und legte sie neben sich auf die Rückbank. Unter dem Sitz konnte sie nichts verstauen, weil sie das Boot nach den jüngsten Regenfällen nicht leer geschöpft hatte. Kurz hinter Willow Island ging ihr das Benzin aus, der Motor fing an zu spucken und starb ab. Margo legte die Ruder in die Dollen und ruderte etwa eine halbe Meile, dann machte sie Pause. Vergeblich tastete sie in den Vordertaschen ihrer Jeans, in die sie gestern die restlichen Scheine und das Wechselgeld geschoben hatte, es waren Michaels Hosen! Ihren Geldbeutel hatte sie zwar dabei, aber der war leer. Ihre eigene Jeans mit den Scheinen und Münzen hing bei Michael über der Badewanne. Margo zog die Ruder aus dem Wasser und ließ sich von der Strömung zurücktreiben. Am Himmel leuchteten an diesem Abend keine Sterne, und dann strömte eiskalter Regen auf sie nieder.
Das Regenwasser bildete Pfützen um ihre Füße. Statt nach der letzten Flussbiegung ihr eigenes Ufer anzusteuern, legte sie an Michaels Floß an. Sie wollte sich ihr Geld holen, und bestimmt konnte sie sich von Michael Zündhölzer borgen. Sicher hatte er auch Benzin für den Rasenmäher, das sie für den Außenborder nehmen konnte, um wieder flussaufwärts zu fahren. Sie vertäute ihr Boot, ging zum Schuppen und stellte fest, dass die Tür mit einem Vorhängeschloss gesichert war. Mit einer Hand die Büchse, mit der anderen die Decke auf ihren Schultern festhaltend, näherte sie sich dem Haus und warf einen Blick durch die Glasschiebetür. Zuerst erkannte sie nur die Leuchtziffern eines digitalen Weckers. Als ihre Augen sich an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, sah sie, dass King sich am Fußende des Betts vom Boden erhob.
Kaum fing die Hündin an zu bellen, stand Michael auch schon in Boxershorts und mit nacktem Oberkörper auf der anderen Seite der Glasscheibe.
Er schaltete eine Außenlampe an und schob die Tür auf. »Margaret Louise? Schläfst du denn nie im Bett?«
»Tut mir leid.«
»Na, komm schon rein. Leid tun kann es dir auch drinnen. Entschuldige meinen Aufzug. Ich habe nicht mit Besuch gerechnet.«
Sie trat ein, und Michael blickte auf die Pfützen hinab, die sich auf dem Holzboden bildeten.
»Verdammt, ich muss den Boden wirklich versiegeln«, sagte er. »Das ist mein nächstes Ziel.« Er nahm ihr die nasse Steppdecke von den Schultern, zeigte ihr, wo sie die Stiefel abstellen konnte, und holte aus dem Bad ein Handtuch, um die Bescherung aufzuwischen.
Erst im warmen Haus merkte Margo, wie durchgefroren sie war.
»Mit der Waffe siehst du richtig gefährlich aus«, sagte Michael. »Wenn du das Gewehr hier in die Ecke zu deinen Schuhen stellst, verspreche ich dir, dass niemand sie anrührt.«
»Kannst du schießen?«
»Ich bin der Einzige in unserer Familie, der es nicht kann. Mein Dad hält mich für eine Abnormität.«
»Was ist das?«
»Was?«
»Eine Abnormität .«
»Ein seltsames Wesen, würde ich sagen. Ein Freak.«
»Wie ein Wolfsmädchen?«
Er lächelte. »Deine Decke ist klatschnass. Ich stecke sie in den Trockner. Deine Klamotten von heute Morgen auch. Gewaschen habe ich sie schon. Hey, rede mit mir, Margaret Louise!«
Sie stammelte: »Danke für das Omelett.«
Michael musste lachen. »Geh duschen. Für das warme Wasser kannst du mir dann morgen danken.«
Margo stellte ihr Gewehr hinter der Tür in die Ecke. Zum ersten Mal seit Langem wurde sie das Ding gerne los. Sie folgte Michael ins Bad. Er erklärte ihr, dass das Wasser zum Warmwerden eine Weile brauche, und zeigte ihr, wie man zwischen Wanneneinlauf und Brause umstellt. Sie machte sich daran, sich aus ihren Pullovern zu schälen, als ihr einfiel,
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