Stromschnellen: Roman (German Edition)
verschränkten Armen ans Spülbecken, in einer Hand die Kaffeetasse. Margo versuchte sich daran zu erinnern, wie sie in seinen Armen gelegen und sich an seine Brust geschmiegt hatte, aber in Hemd und Sakko wirkte sein Körper an diesem Morgen so steif, dass sie ihn sich nicht nackt vorstellen konnte. »Komm doch mit. Unsere Kirche ist ziemlich locker. Man nennt sie hier auch die ›Hippie-Kirche‹.«
»Ich fahr nach Hause«, sagte sie reflexartig.
Er reichte ihr eine Tasse Kaffee mit Milch. »Wie alt bist du eigentlich, Margaret Louise? Ich bin achtundzwanzig.«
»Ich werde im November neunzehn«, behauptete sie. Gleich darauf fiel ihr ein, dass sie ihm erzählt hatte, sie sei bereits neunzehn. In Wirklichkeit wurde sie in zwei Monaten siebzehn.
»Weißt du, das gestern Abend … das war nicht geplant. Ich kenne dich doch gar nicht.« Er starrte Margo auf eine Weise an, die schon fast unhöflich war. Sie wich seinem Blick aus, nippte an ihrem Kaffee und streichelte Kings Kopf. Das Schweigen im Raum verdichtete sich, und Margo richtete sich darin ein. Schweigen war ein Spiel, das sie beherrschte.
»Und ich habe nicht verhütet. Aber mach dir keine Gedanken wegen einer Schwangerschaft, ich bin sterilisiert. Trotzdem, wir hätten es nicht tun sollen. Gibt es etwas, was du mir sagen möchtest?«
Sie sah ihn an. Seine Augen blickten leicht hektisch, aber freundlich.
»Tut mir leid«, sagte Michael schließlich und setzte sich ihr gegenüber an den Tisch. Er entspannte sich allmählich. »Es ist nur so, dass ich nichts über dich weiß. Du könntest genauso gut eine verschollene Erbin sein wie ein Mädchen, das gerade seine ganze Familie umgebracht und im Garten verscharrt hat.«
»Oder ein Mädchen, das von Wölfen aufgezogen wurde?«, fragte Margo.
»Vielleicht habe ich dich auch nur geträumt.« Seine Stimme wurde leiser. »Glaub mir, wenn ich mir ein Mädchen erträumen würde, wäre es genau wie du. Es hätte so schöne Arme wie du. Es wäre klug und würde sogar wie du riechen.« Er stand auf, nahm ein Geschirrtuch und wischte damit über die saubere Arbeitsfläche.
Wie rieche ich wohl?, überlegte Margo. Sie hatte doch erst vor Kurzem geduscht.
»Allerdings würde diese junge Dame reden.« Er faltete das Tuch zusammen und legte es weg. »Sie würde mit mir streiten. Und mit etwas Glück wäre sie tatsächlich eine Erbin mit einer Insel auf dem Fluss.«
Seine Worte prallten an ihr ab. Sie war weder ein Wolfsmädchen noch eine Mörderin oder Erbin. Auch keine Traumgestalt. Sie war ein Mädchen, das ein paar Zündhölzer und Benzin für sein Boot brauchte. King schob den Kopf unter ihre Hand und wollte gestreichelt werden.
»Aber vielleicht kommt dieser riesige Kerl zurück, mit dem du zusammenlebst, und benutzt mich als Fischfutter.«
Margo fand, dass dies der erste vernünftige Satz war, den er von sich gegeben hatte. Sie lächelte.
»Du wohnst seit Dezember mit ihm zusammen, und jetzt hast du Angst vor ihm.«
Margo schaute zur Hütte hinüber. Sie war froh, dass am Steg kein Boot lag. Nach der letzten Nacht war ihr klar geworden, dass sie weder Paul noch Brian wiedersehen wollte. Sie war dankbar gewesen, dass Brian ihr ein Zuhause gegeben hatte, aber sie wollte nicht mehr mit ihm zusammen sein, auch nicht, wenn er freikam. Sie hatte viel von ihm gelernt, aber die letzte Nacht mit Michael war so schön gewesen! Sie hatte sich so sicher und wohl gefühlt.
Michael trank einen Schluck Kaffee. »Hast du vor, den ganzen Winter in der Hütte zu bleiben? Wie kriegst du sie warm? Mit einem Holzofen? Oder hast du einen Propan- oder Kerosinheizer?«
»Vielleicht ziehe ich zu meiner Mutter«, sagte sie. Sie wollte hören, wie das klang.
»Ah, du hast natürlich eine Mutter! Wo wohnt sie?«
»In Lake Lynne.«
»Kommst du heute Abend wieder?« Michaels braune Augen sahen sie so hoffnungsvoll an wie Kings. »Wir könnten zusammen essen. Ich könnte dich mit dem Jeep abholen.«
»Bis zur nächsten Straße ist es von der Hütte ein Fußmarsch von einer halben Meile«, sagte sie und hängte sich die Marlin über die Schulter.
»Und mein Boot ist noch nicht fertig, also liegt es wohl bei dir, Margaret Louise.« Er sah ihr dabei zu, wie sie aufstand, ihren Kaffee herunterkippte und zur Tür ging, so wie er ihr am Tag ihrer ersten Begegnung hinterhergesehen hatte, als sie mit seinem Hund weggerudert war.
Eine halbe Stunde später saß Margo im Schneidersitz auf dem Steg an der Hütte, spürte eine warme Brise
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