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Stromschnellen: Roman (German Edition)

Stromschnellen: Roman (German Edition)

Titel: Stromschnellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bonnie Jo Campbell
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Heißhunger auf Zimtbrot mit Marmelade, dass sie Halluzinationen hatte, jedenfalls bildete sie sich ein, dass mehrere Murrays neben Billy standen. Ein echter Murray war eben nie allein.
    »Peng!«, machte sie leise, um etwas von dem Druck abzulassen, der sich in ihr angestaut hatte. Sie war morgens so zerstreut gewesen und hatte es so eilig gehabt, Joanna zu sehen, dass sie die Ruder in den Dollen gelassen und die Blätter links und rechts auf die Rückbank gelegt hatte, neben ihren Rucksack, auf dem der Name CRANE nicht zu übersehen war. Nicht einmal einen Ast hatte sie zur Tarnung aufs Boot gelegt.
    Billy ging am Ufer in die Hocke, berührte den Bug und fuhr mit der Hand über die Stelle, an der die Wörter The River Rose ins Holz gebrannt waren. Eine aus dieser Distanz präzise abgefeuerte .22er-Kugel konnte seinen Schädel an der Schläfe durchschlagen, und dann würde er niemandem mehr Probleme machen. Eigentlich galten .22er-Büchsen als »Eichhörnchenkanonen«, aber wenn Margo genau traf, würde die Kugel in seinen Schädel eindringen, im Innern auf und ab hüpfen und Hackfleisch aus seinem Hirn machen. In ihrer Kehle kratzte es, und sie musste mit solcher Macht ein Husten unterdrücken, dass ihr die Tränen kamen.
    Jetzt sah Billy sich den Bug von der anderen Seite an, und bestimmt fiel ihm der Farbunterschied an der Stelle auf, wo sich die Registrierungsnummer befunden hatte, bevor Margo sie weggestemmt hatte – ein Boot ohne Motor musste nicht registriert werden, und seit sie Brians Hütte verlassen hatte, besaß sie keinen Motor mehr.
    »Nympho!«, rief er noch einmal. Er stand auf und blickte sich um. »Wo steckst du?«
    Margo mochte es ganz und gar nicht, wie ihr Spitzname über den Fluss hallte. Womöglich störte Billy Joanna und das Baby. Wusste er nicht, wie schwierig es sein kann, ein Kind zum Einschlafen zu kriegen? Als er sich halb in ihre Richtung drehte, sah sie, dass er unter seiner Jeansjacke ein schwarzes T-Shirt mit einem Rock-’n’-Roll-Motiv trug, das Ähnlichkeit mit einer Zielscheibe hatte und sie einzuladen schien, ihm eine Kugel direkt über dem Solarplexus zu verpassen. Die Sonne stand am diesigen Himmel im Zenit, heller würde es an diesem Tag nicht werden.
    »Nympho?«, rief Billy wieder, wenn auch nicht mehr so laut und selbstbewusst.
    »Lass mein Boot in Ruhe!«, sagte Margo und richtete sich auf. Aus dem veränderten Blickwinkel erkannte sie, dass das Gewehr in seiner Hand das alte Luftgewehr war, das er zu seinem vierzehnten Geburtstag bekommen hatte. Mit etwas Glück konnte er damit jemandem ein Auge ausschießen, aber mehr als ein Vogel oder ein Eichhörnchen ließ sich damit nicht erlegen.
    »Ich dachte, du wärst in der Sommerschule«, sagte Margo. Sämtliche Muskeln in ihrem Körper warteten angespannt darauf, dass sie die Marlin anlegen und abdrücken würde. Wenn nur ihre Augen nicht tränen würden! Sie schluckte mehrmals, um das Kratzen loszuwerden.
    »Und warum bist du nicht in der Schule?«, fragte Billy.
    »Ich geh nicht mehr zur Schule. Ich muss nicht mehr.«
    »Heute Morgen hat Ma mich gefragt, was ich davon halten würde, wenn du eine Weile bei uns wohnst. Ich hab gesagt, auf keinen Fall. Ich hätte mir denken können, dass du dich hier rumtreibst.«
    Margo wünschte, sie hätte die Situation vorausgeahnt und in Gedanken durchgespielt, dann würde in ihrem Hirn jetzt nicht so ein Kuddelmuddel herrschen.
    »Das ist ein Murray-Boot«, behauptete Billy. »Du weißt, dass es nie für dich bestimmt war. Und du bist schuld, dass Daddy ein Krüppel ist. Jeder weiß, dass du diesen Kerl auf Dad gehetzt hast, damit er ihn verprügelt.«
    Am liebsten hätte sie protestiert und gesagt, dass auch sie eine Murray war und nicht gewollt hatte, dass Cal verprügelt wurde. Stattdessen sagte sie nur: »Ich könnte dich jetzt einfach abknallen.«
    »Na los, erschieß mich! Dann verrottest du im Gefängnis. Ich war im Jugendknast. Ich weiß, wie’s dort ist.«
    »Deine Mutter hat gesagt, du warst nicht im Gefängnis.«
    »Ich musste dieses Jahr für zwei Monate in den Jugendknast.«
    »Warum?«
    »Es gab da ein kleines Problem mit einem Feuer, das außer Kontrolle geraten ist.« Er grinste, aber es wirkte aufgesetzt. »Wir wollten uns nur wärmen, aber das hat uns keiner abgenommen.«
    »Warum hast du meinen Vater erschossen?«
    »Du weißt, warum, Nympho. Kein Mann würde so was tun, ich meine, so auf meinen Dad schießen. Meinem Vater den Schwanz wegschießen, das bringst nur

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