Stromschnellen: Roman (German Edition)
Schulfreund nach Alaska gegangen. Er arbeitet jetzt auf einem Fischerboot und ist begeistert.« Joanna lächelte.
»Aber ich hab ihn doch gerade im Wohnzimmer gesehen! Du hast seine Jacke ausgebessert.«
»Du hast Billy gesehen. Er ist inzwischen größer als Junior und auch als sein Vater. Billy bekommt Medikamente, damit er besser mit seinen Stimmungsschwankungen zurechtkommt. Junior hat mich gebeten, ihm seine Jacke zu schicken, und als Überraschung nähe ich ihm ein Flanellfutter ein. Warte kurz hier.«
Als Joanna knapp eine Minute später zurückkam, drückte sie Margo eine große Papiertüte in die Arme. »Hier hast du ein paar Scheiben von meinem Brot, das du immer so gemocht hast, und ein kleines Glas Pfirsichmarmelade – deine Lieblingsmarmelade. Du kannst sie zusammen mit deinem Freund essen.«
»Danke«, sagte Margo. Die Tüte war warm und duftete nach Zimt. Als Margo hineinspähte, stellte sie fest, dass Joana ihr ungefähr ein Drittel des Zimtbrots geschenkt hatte. Ein paar von den Jungs würden sich am nächsten Morgen beim Frühstück also mit normalem Brot begnügen müssen.
»Hast du wirklich eine Bleibe?«, fragte Joanna. »Zur Not kannst du in der Scheune schlafen. Ein paar von den Kindern haben dort letzte Woche eine Pyjamaparty veranstaltet. Die Schlafsäcke sind wahrscheinlich noch drüben.«
Margo war klar, dass es zu riskant wäre, in der Scheune zu schlafen, weil es in der Nähe keine Möglichkeit gab, ihr Boot zu verstecken. Und solange es nicht regnete, schlief sie lieber draußen, wo sie hören konnte, wenn jemand kam.
Im oberen Stock war ein Heulen zu hören.
»Randy weint«, erklärte Joanna.
Margo sah sie verständnislos an.
»Weißt du es denn nicht?«, fragte Joanna mit aufgerissenen Augen. »Aber natürlich, woher solltest du es auch wissen? Ich habe ein Baby bekommen.«
»Ein Baby? Herzlichen Glückwunsch!« Sie hoffte, sie hatte das Richtige gesagt. Was sie damals mit Cal gemacht hatte, hatte ihn nicht daran gehindert, ein Kind zu zeugen. Und genau das war ihr Plan gewesen: ihm nicht auf Dauer zu schaden, sondern lediglich einen Denkzettel zu verpassen. Ihre Rache war also perfekt gewesen, und trotzdem war alles gründlich schiefgegangen.
»Ist es ein Junge?«
»Ja, ein Junge …« Joanna brach die Stimme weg. »Ich war so sicher, dass es diesmal ein Mädchen werden würde. Ich wollte sie Rachel nennen, nach meiner Schwester.«
»Wie sieht er aus? Ich würde ihn so gern sehen.«
»Dein neuer Cousin hat das Downsyndrom«, eröffnete ihr Joanna und schluckte, als täte sie sich mit der Erklärung schwer. »Darum mussten wir auch die Hunde weggeben. Wenn sie gebellt haben, hat er immer geheult und geschrien. Downsyndromnennt man das heute, nicht mehr Mongolismus.«
»Downsyndrom«, wiederholte Margo nachdenklich.
»Ich liebe ihn, aber ich bin so müde«, sagte Joanna. Sie schüttelte den Kopf. »Eine Zeit lang habe ich Julie bezahlt, damit sie mir zur Hand geht, aber … Ach, Elfe, du warst mir als Einziges von den Kindern je eine wirkliche Hilfe.«
»Ich hab immer gern geholfen«, sagte Margo leise.
»Weißt du, Cal war wütend, als du uns diese Nachricht hingelegt und dich verdrückt hast. Warum bist du nicht bis zur Beerdigung geblieben?«
»Was für eine Beerdigung? Daddy wurde eingeäschert.«
»Ja, aber wir haben die Schachtel mit seiner Asche am nördlichen Rand des Friedhofs beigesetzt. Cal hat darauf bestanden, dass alle Jungs dabei sind.«
»Ich wusste nicht, dass man die Asche auf den Friedhof bringt.« Margo hatte gedacht, wenn ein Mensch eingeäschert wird, ist er einfach weg. »War Billy auch dabei?«
Joanna nickte. »Drei Monate lang hat dein Onkel der Polizei nicht gesagt, dass du verschwunden bist. Erst als sie deine Unterschrift benötigt haben. Da hat er ihnen erzählt, du wärst jetzt bei deiner Mutter in einem anderen Bundesstaat.«
Margo schüttelte den Kopf. Zu der Zeit hatte sie bei Brian gewohnt.
»Sie haben nach deiner Mutter gesucht«, berichtete Joanna, »konnten sie aber nicht finden. Wie hast du sie gefunden?«
»Ich hab mich umgehört und Briefe geschrieben«, antwortete Margo. Sie wäre so gern auf der Beerdigung ihres Vaters gewesen – trotz Billy. Bei der Vorstellung, dass Billy unbehelligt bei seiner Familie wohnte, als hätte er sich nichts zuschulden kommen lassen, zog es Margo das Herz zusammen.
»Ich hör jemanden kommen! Wenn du kannst, komm morgen Vormittag wieder, dann reden wir weiter. Die Jungs sind im
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