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Stromschnellen: Roman (German Edition)

Stromschnellen: Roman (German Edition)

Titel: Stromschnellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bonnie Jo Campbell
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Schließlich weitete sich die Baumreihe zu einem Wäldchen, das größtenteils aus Ahorn- und Nussbäumen bestand. Das Land senkte sich über rund eine Drittelmeile zum Fluss hin ab und endete dort abrupt. Als sie kurz darauf am Ufer standen, schätzte Margo, dass der Kalamazoo an dieser Stelle ungefähr doppelt so breit war wie der Stark River bei Murrayville, also rund fünfzig Schritt. Am gegenüberliegenden Ufer erblickte sie eine steile Böschung. Sie suchte sie mit den Augen ab, konnte aber keinen Pfad ans Wasser entdecken, sondern lediglich ein orange-schwarzes Schild mit der Aufschrift: JAGEN VERBOTEN! KEIN ZUTRITT ! Ein Stück flussabwärts stand noch so ein Schild.
    »Hier können wir heute Nacht unser Lager aufschlagen«, entschied sie.
    »Den Wagen müssen wir wohl oben an der Straße lassen«, sagte der Indianer. »Was wir brauchen, tragen wir her.«
    Margo fragte sich, wie lang das Wasser, das vormittags im Stark River an ihnen vorbeigeflossen war, wohl brauchte, um das Wehr zu passieren und diesen Teil des Kalamazoo zu erreichen. Er roch nach anderen Chemikalien als der Stark River. In der Luft hing ein leicht modriger Geruch. Das Wasser war braun, die Ufer wirkten schlammig. Die einzige sandige Stelle befand sich an der Mündung des Bächleins, an dem sie entlanggegangen waren. Als Margo eine Turbulenz im Wasser entdeckte, fragte sie sich, ob Cranes Geist sie so weit flussabwärts begleitet hatte. Eine Bisamratte steckte den Kopf heraus, beäugte sie und tauchte wieder unter.
    »Gütiger Gott«, sagte der Indianer und sah sich um. »Mein Cousin kennt die Geschichten über dieses Flusstal. Angeblich gab es hier früher so viele Bäume, dass nie das Feuerholz ausging. Der Zuckerahorn füllte ganze Fässer mit seinem süßen Saft. Zu schade, dass alles urbar gemacht wurde.«
    »Wenn der Wald so nah bis an den Fluss reicht, gibt es hier bestimmt jede Menge Tiere. Jetzt kann man sie nicht sehen, aber nachts kommen sie raus, um den Mais und die Bohnen zu fressen.«
    »Mein Cousin hat Geschichten erzählt bekommen, dass die Hirsche in Michigan vor unseren Bögen posierten und darum bettelten, zu Nahrung und Fellen verarbeitet zu werden«, fuhr der Indianer fort. »Sie hatten ihr üppiges Leben auf Erden satt und sehnten sich nach Erlösung, um ins Reich der Seelen oder so zu kommen. Er sagt, die Enten warfen im Sterben ihre Federn ab, um ihre Zubereitung zu erleichtern. Die Fische sprangen aus dem Wasser, und man brauchte nur die Hand auszustrecken und sich die zu schnappen, auf die man Lust hatte. Die Frauen bauten Gemüse an, und zwar die sogenannten ›Drei Schwestern‹: Mais, Bohnen und Kürbis. Der Boden war schwarz und fruchtbar, und sie bestellten die Gärten der Vorfahren.«
    »Gingen sie auch im Fluss schwimmen?«
    »Vermutlich. Damals war er noch nicht verschmutzt.«
    »Sehen Sie, da drüben wartet Ihr indianisches Abendessen. Ich nehme dafür nur fünf Dollar.« Margo zeigte auf eine männliche Stockente, die ein Stück weiter in Ufernähe schwamm. Margo streifte die Marlin von der Schulter, stützte den Kolben aufs Knie und schob zwei Patronen ins Magazin.
    »Das Gewehr ist für dich fast zu lang zum Laden«, spottete der Mann.
    »Psst!« Margo lud durch, pirschte sich näher an den Erpel heran und zielte auf seinen Kopf. Er trieb ein Stück ab und paddelte zum Ufer. Margo legte das Gewehr erneut an, drückte den linken Arm zur Stabilisierung gegen die Schlaufe und zielte, doch der Erpel bewegte sich abermals und schwamm in tieferes Wasser. Da ließ Margo sich auf ein Knie nieder, legte an, nahm sein Auge ins Visier und schoss. Mit einem Stock fischte sie den toten Vogel heraus und hielt ihn an den Füßen hoch, um ihn auszubluten.
    »Autsch!«, rief der Indianer.
    Er machte sich auf den Weg in die Stadt. Margo rupfte ihre Beute, hörte aber nach wenigen Minuten damit auf, weil ihr einfiel, dass sie sie im verseuchten Flusswasser weder waschen noch einweichen wollte. Das Bächlein war zu seicht. Sie brauchte einen Eimer für sauberes Wasser, aber oben an der Scheune hatte sie keinen gesehen. Sie blickte den Fluss in beiden Richtungen entlang und beschloss, stromaufwärts zu gehen, weil sie sich dann zurücktreiben lassen konnte, falls sie ein Boot fand. Das Gewehr hängte sie sich über eine Schulter, den Erpel an einem Fuß über die andere.
    Am Ufer führte ein Wildwechsel entlang. Margo folgte ihm, bis ihr ein elektrischer Viehzaun, der bis dicht ans Wasser reichte, den Weg versperrte. Sie

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