Stromschnellen: Roman (German Edition)
ja, wir haben ein Gewehr dabei.«
Margo ertappte sich dabei, dass sie seit Langem wieder einmal lächelte – über ihren erstklassigen Schuss, die warme Sonne, die Verblüffung des Indianers und die Aussicht, einen neuen Fluss kennenzulernen. Der Indianer öffnete die Kofferraumklappe, und Margo legte das Gewehr auf einen Schlafsack. Er deckte es mit losen Kleidungsstücken zu, und Margo stellte ihren Rucksack daneben.
Als er sich auf den Fahrersitz setzte und die Tür zuzog, kurbelte Margo das Fenster herunter und warf einen letzten Blick auf den Stark River, von dem sie nie geglaubt hatte, dass sie ihm einmal den Rücken kehren würde.
»Und du läufst auch bestimmt nicht von zu Hause weg?«, fragte der Indianer beim Losfahren.
Sie schüttelte den Kopf und sah, wie der Fluss hinter ihnen verschwand.
»Ich habe oben im Norden mit einem Anthropologen gesprochen, weil ich wissen wollte, wo genau am Kalamazoo die Potawatomi wahrscheinlich gelebt haben«, erklärte er, als sie sich auf dem Highway befanden. »Ein Farmer hat mir erlaubt, eine Nacht auf seinem Land zu campen.«
»Sie benehmen sich nicht gerade wie ein Indianer. Welcher Indianer geht schon zu einem Anthropologen? Folgt er nicht eher Tierfährten?«
»Weißt du was? Du solltest mir dankbar sein! Ich nehme dich nur mit, um dich vor den Kerlen beim Trampen zu schützen. Es gibt eine Menge böse Männer auf der Welt.«
»Ich hab keine Angst vor Männern.«
»Holla, stimmt ja! Einem hast du den Schwanz weggeschossen.« Er schlug sich übermütig auf den Schenkel, und das Auto machte einen Satz nach links. »Mannomann, ich muss verrückt sein, dich mitzunehmen!«
»Genau das hab ich gemeint, als ich gesagt habe, dass Sie sich nicht wie ein Indianer anhören.« Margo war noch nie gern auf dem Highway unterwegs gewesen, und diese Fahrt war so schlimm wie die damals mit Junior, als er den Führerschein neu hatte. Vielleicht kam das flaue Gefühl im Magen von ihrer Traurigkeit darüber, den Stark River verlassen zu haben, aber die Fahrweise des Indianers machte es nicht besser.
»Wie hört sich denn ein Indianer an? Du weißt doch überhaupt nichts über Indianer.«
»Sitting Bull hätte nie Mannomann , Mist, Hoppla oder Holla gesagt.« Die Widerworte halfen ihr, ihren Magen zu besänftigen – solange der Mann die Hände am Steuer ließ. Stocksteif saß sie da, während sie auf die linke Spur wechselten, um einen Sattelschlepper zu überholen, der ihr vorkam, als wäre er eine Meile lang. Die fünfundvierzig Minuten auf dem Highway erschienen ihr wie eine Ewigkeit, und Margo war erleichtert, als sie schließlich in die Ausfahrtspur einbogen und langsamer wurden.
»Ich brauche dich wohl nicht zu fragen, ob du mal die Karte lesen könntest«, meinte er, als sie auf einer zweispurigen Straße weiterfuhren. Er blickte zum Horizont, dann wieder zu ihr. »Du bist ziemlich blass, Kleine.«
Sie öffnete den Mund, um zu erwidern, sie sei nun mal ein Bleichgesicht, verkniff es sich jedoch. Als sie in eine kleinere Straße einbogen, drehte sie das Fenster herunter. Sie griff nach hinten, tastete auf der Rückbank nach der Schachtel mit der Asche und legte zur Beruhigung die Hand darauf. Kaum roch Margo den Fluss, entspannten sich ihre Muskeln.
16. KAPITEL
Der Indianer bog in eine mit einem Holzpfosten gekennzeichnete Auffahrt ein, und sie hielten vor einem Gatter neben einer ungestrichenen Scheune. Beim Aussteigen erblickte Margo ein walfischgroßes Gewirr aus rostigem Altmetall, dessen größte Teile von ausgedientem landwirtschaftlichem Gerät zu stammen schienen. Sie gingen durch das Gatter und sahen hinter der Scheune einen großen Haufen aus Baumstümpfen, knorrigen Ästen und entwurzelten Sträuchern. Auf der gegenüberliegenden Seite der Auffahrt befand sich das Fundament dessen, was einmal ein Haus gewesen sein musste. Margo konnte den Fluss zwar nicht sehen, aber allein schon sein Geruch in der Ferne und das zu ihm hin sanft abfallende Land beruhigten sie. Sie kehrte zum Wagen zurück, holte ihr Gewehr unter den Sachen hervor und hängte es sich über die Schulter.
Zwischen einem Mais- und einem Sojabohnenfeld führte eine Baumreihe als Windschutz von der Straße hinunter zum Fluss. Sie gingen an ihr entlang. Nach einer Weile verbreiterte sich der Windschutz, und neben ihnen rieselte ein Bächlein. Margo pflückte eine Bohnenschote, brach sie auf und knabberte beim Gehen die rohen Sojabohnen. Sie waren hart und schmackhaft, wohl reif für die Ernte.
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