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Stromschnellen: Roman (German Edition)

Stromschnellen: Roman (German Edition)

Titel: Stromschnellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bonnie Jo Campbell
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wär’s aus meinem Mund? Schaffst du das?«
    »Das kommt aufs selbe raus«, sagte sie. »Aber eine .22-er-Patrone kann bis zu anderthalb Meilen weit fliegen. Sie kann sogar den Zaun dort hinten durchschlagen.«
    »Schieß sie in die Garage.«
    »Sie könnte irgendwas treffen, einen Farbeimer oder eine Säureflasche im Regal.« Sie musste an Cranes mit Farben, Flüssiganzünder, Vergaserreiniger und sechs Sorten Schmiermittel vollgestopften alten Schuppen denken. Aber die Garagenwand gab nun mal den besten Hintergrund ab.
    »Das kratzt mich nicht.« Er hustete in die Faust.
    »Wollen Sie wirklich, dass ich so nah an Ihrem Gesicht auf eine Zigarette schieße?«
    »Willst du meinen Topf nun haben oder nicht?«
    »Hat er einen Deckel?«
    »Den musst du dir selbst aus dem Küchenschrank kramen. Aber umsonst kriegst du ihn nicht.«
    »Was ist mit dem Hund? Macht ihm das Schießen nichts aus?« Der schwarze Labrador der Murrays hatte jedes Mal verrückt gespielt, wenn geschossen wurde. Er konnte gut schwimmen, aber für die Jagd taugte er nicht.
    »Schüsse stören Nightmare nicht. Er hat nur was gegen fremde Männer. Der Hund glaubt mir nicht, dass Frauen genauso gefährlich sind.«
    Der alte Mann ließ den filterlosen Zigarettenstummel fallen, obwohl er noch brannte, und zündete sich eine neue Zigarette an. Dann wandte er sich von Margo ab und schaute über den Fluss, sodass er ihr seine rechte Körperhälfte im Profil darbot. Ihr Kopf wurde ganz klar, als sie den Schuss in Gedanken von Anfang bis Ende durchging.
    »Wozu brauchen Sie den Wohnwagen?« Margo beobachtete den Mann, um herauszufinden, ob er zu abrupten Bewegungen neigte, die den Schuss vermasseln könnten.
    »Hab drin gewohnt, wenn es im Haus zu heiß geworden ist. Bin damit den Fluss rauf- und runtergefahren. Einmal hab ich drei Jahre drin gewohnt, als meine Schwester mit ihren Blagen hier eingezogen ist.«
    »Hat er einen Innenborder?«, fragte sie. Wenn sich der Mann im falschen Augenblick plötzlich vorbeugte, würde sie ihm die Kinnlade oder ein paar untere Zähne wegschießen, aber seine Bewegungen waren langsam und bedächtig, sogar beim Husten. Sie schob noch eine Patrone in das Röhrenmagazin – die Chancen standen gut, dass sie mit zwei Schuss traf –, überlegte es sich jedoch anders, steckte noch drei hinein und bewahrte nur eine in ihrer Tasche auf. Sollte der erste Schuss danebengehen, würde sie so lange anlegen, zielen und schießen, wie er stillhielt. Sie betätigte den Repetierhebel, und der Hahn spannte sich. Bei dem Geräusch drückte der alte Mann den Rücken durch.
    »Das Boot ist für einen Außenborder ausgelegt, aber ich hatte es nie eilig«, antwortete der Alte. Er ließ das Feuerzeug in eine Tasche an der Seite des Rollstuhls fallen und steckte sich die Zigarette zwischen die Lippen. »Worauf wartest du? Auf Befehl von oben?«
    Sie musste schießen, während die Zigarette noch lang war, damit der Schuss möglichst weit an seinem Gesicht vorbeiging. Margo bemerkte, dass sein Körper leicht zitterte, allerdings nicht stark genug, um ihr den Schuss zu verpatzen. Sie rückte den Gewehrkolben an ihrer Schulter zurecht, presste die Wange an den Schaft, zog den Schießriemen fest und zielte, aber diese Haltung schien ihr nicht stabil genug. Also ließ sie sich auf ein Knie nieder, und schließlich setzte sie sich im Schneidersitz auf die Steinplatten und stützte die Ellbogen unterhalb der Knie auf die Beine.
    Bevor sie die Mündung hob, holte sie tief Luft und nahm die Umgebung in sich auf: den Rollstuhl, den schwarzen Hund, die milde Herbstsonne, in der die grünen und golden verfärbten Blätter des Zuckerahorns leuchteten, die roten Efeuranken, die unten am Fluss an einer Sumpfeiche emporkletterten, das unter dem Wohnwagenboot hindurchfließende Wasser, Gänseschnattern, aus der Nachbarschaft der Geruch von verbranntem Holz. Sie war gerade erst am Kalamazoo gelandet, aber dies hier war eine Welt, mit der sie sich auskannte. Sie ließ den Blick über Beine und Füße des alten Manns im Rollstuhl wandern. Seine Hände lagen im Schoß, die langen Finger waren vom Rauchen gelblich verfärbt. Sie betrachtete seinen Kopf mit dem dichten, glänzenden Haar, das so gar nicht zu seiner übrigen körperlichen Verfassung passte, und dem dunklen Rechteck seiner Brille. Als er die Brille abnahm und sie aus großen geröteten Augen ansah, erschrak sie. Für einen kurzen Augenblick erinnerte er sie an ihren Großvater, obwohl er ihm natürlich

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