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Stromschnellen: Roman (German Edition)

Stromschnellen: Roman (German Edition)

Titel: Stromschnellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bonnie Jo Campbell
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zu lassen, und ging hinauf zum Wagen, um ihren Rucksack zu holen. Als sie die Kofferraumklappe des Kombis zuschlug, sah sie eine Frau von Tante Joannas Größe und Statur aus dem Haus auf der anderen Straßenseite treten, um in einem Vogelhäuschen Futter nachzufüllen und Samenkörner auf einem Rasenstück auszustreuen. Noch ehe die Frau wieder weg war, stürzte sich ein halbes Dutzend Kardinalsvögel auf die Körner am Boden, vier blutrote und zwei armeegrüne. Die Frau, die etwa zehn Jahre älter als Joanna war, hatte schulterlanges Haar mit grauen Strähnen und trug eine alte Stalljacke aus Drillich. Als sie aufblickte und bemerkte, dass sie beobachtete wurde, sah sie Margo gut gelaunt an, als hätte sie schon alle möglichen Arten von Menschen gesehen, aber noch nie jemanden wie Margo. Das Haus hatte einen großen Garten, in dem es mehrere Reihen Auberginen- und Tomatenstauden gab. Die Frau winkte Margo zu, und Margo winkte spontan zurück. Erst jetzt fiel ihr das Mädchen auf, das barfuß in einem Liegestuhl lag. Es trug eine ausgefranste, abgeschnittene Jeans und ein rosa Sweatshirt und musste etwa in Julie Slocums Alter sein. Das Mädchen war in ein Buch vertieft, und Margo brauchte eine Weile, bis sie erkannte, was auf seinem Bauch saß: ein riesiges Kaninchen, das um die zehn Kilo wiegen musste. Es diente dem Mädchen als Buchstütze, und seine Ohren waren länger als die Hände des Mädchens und zuckten ab und zu, aber ansonsten hielt das Kaninchen still. Margo musste laut lachen. Sie setzte den Rucksack auf, nahm die Schachtel mit der Asche und ihr Fragment von The River Rose und marschierte zurück zum Fluss.
    Als die orangefarbene Sonne flussabwärts verschwand, saßen Margo und der Indianer am Feuer und ließen sich den Entenbraten und ein paar gesalzene Tomaten schmecken, die der Indianer an einem Gemüsestand gekauft hatte. In der Pfanne lag eine dicke Scheibe von dem Bovist. Margo hatte sie im Entenfett und einem bisschen von der Butter aus den Silberfoliepäckchen, die der Indianer ihr gegeben hatte, gebräunt.
    »Du weißt, dass ich diesen Pilz nicht anrühre«, sagte der Indianer.
    »Macht nichts. Dann esse ich ihn allein. Sie schulden mir noch fünf Dollar für die Ente.«
    »Ich habe keine Lust auf Halluzinationen. Und mir wäre es lieber, du würdest auch keine kriegen – nicht mit dem Gewehr.«
    »Es ist nicht geladen«, beruhigte ihn Margo. Die Büchse lag in die Plane gewickelt neben der Feuerstelle. »Ihr Cousin hat doch erzählt, dass die Enten ihre Federn abwerfen, aber die hier war höllisch schwer zu rupfen.« Kraftausdrücke waren noch nie ihre Stärke gewesen, und deshalb wollte sie ein paar von den höflichen Flüchen des Indianers ausprobieren.
    »Ach, das war nur ein Märchen.« Er reichte ihr einen Zehndollarschein. »Den Rest kannst du behalten.«
    »Dafür mache ich Ihnen Frühstück«, sagte sie und schob den Schein vorn in ihre Hosentasche.
    »Wie hast du es hingekriegt, so sauber zu werden?«, fragte der Indianer.
    »Ich hab bei einem alten Mann geduscht.«
    »Du findest schnell Freunde. Dein Haar hat jetzt eine ganz andere Farbe, passend zum Fluss.«
    Margo zog eine Haarsträhne nach vorn und betrachtete sie. Ihr Haar war offenbar auch gewachsen. Es roch nach dem Shampoo des alten Mannes.
    »Du bist viel zu hübsch, um allein hier draußen zu leben«, stellte der Indianer fest. »Du bist vollkommen wehrlos.«
    Margo aß noch ein Stück Bovist.
    »Aber keine Sorge, Schönheit ist vergänglich.«
    »Ich hab dem alten Mann eine Zigarette aus dem Mund geschossen. Deshalb durfte ich bei ihm duschen.«
    »Du hast was ?«
    »Er saß im Rollstuhl und hat gesagt, wenn ich ihm die Spitze von der Zigarette wegschieße, krieg ich seinen großen Topf.« Margo bereute, dass sie nicht auch einen von den Eimern hatte mitgehen lassen, während der Alte schlief. »Jetzt kann ich aus den Resten Suppe kochen.«
    Der Indianer ließ sich zurückfallen, schlang die Arme um die Knie und wälzte sich lachend auf dem Boden. »Du hättest ihn umbringen können! Eigentlich ist das nicht witzig, aber … gütiger Gott!«
    »Ich wünschte, Sie könnten noch ein bisschen bleiben, nur noch einen Tag.« Kaum waren ihr die Worte herausgerutscht, bereute Margo sie auch schon, weil sie nun als Bittstellerin dastand. Ihr war klar, dass der Indianer nicht bleiben würde, ganz gleich, was sie sagte.
    »In einer Woche muss ich wieder unterrichten, und in vierzehn Tagen veranstalte ich mit anderen eine

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