Studio 6
dachte sie bei sich.
Da ist es wahrscheinlich besser, wenn ich rausfliege, ehe ich so geworden bin wie die Flanelllappen, eine Reihe Sensationsgeschädigter Heuchler mit Köpfen, in denen alles in 72 Punkt Bodoni gedacht wird.
»Sie können das Idiotentelefon übernehmen«, sagte Spiken im Vorübergehen zu ihr.
Noch anderthalb Wochen, dachte Annika, biss die Zähne zusammen und brachte den Teller und das Besteck in die Kantine.
»Ich kann einen ruhigen Abend gut gebrauchen«, sagte sie, als sie wieder an ihrem Platz saß.
»Ha!«, rief Anne Snapphane aus. »Das hast du dir so gedacht. Sieh dir doch mal das Wetter an. Alle Verrückten sitzen drinnen und rufen ununterbrochen alle Idiotentelefone an, vor allem unseres.« Anne hatte natürlich Recht.
»Ich finde, dass das mit der Einwanderung beschissen ist«, sagte eine Stimme, die nach Testosteron und den südlichen Vororten Stockholms klang.
»Ach, ehrlich«, sagte Annika, »inwiefern denn?«
»Dass die einfach alles übernehmen. Warum können die nicht erst mal ihre eigenen Probleme zu Hause bei den Negern lösen, anstatt ihren ganzen Mist hierher zu schleppen?«
Annika lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und verdrehte die Augen. »Könnten Sie das vielleicht etwas präzisieren?«, fragte sie.
»Erst hauen sie sich zu Hause in Stücke und vergewaltigen alle Weiber. Dann kommen sie hierher und ermorden unsere Mädels. Warten Sie mal ab, das mit der toten Tussi da im Park, ich wette, das war so ein Neger.«
Wenigstens gab es noch Leute, die nicht Studio 6 hörten.
»Na ja«, meinte Annika, »ich glaube nicht, dass die Polizei Ihre Verdächtigungen teilt.«
»Da haben Sie’s! Das ist ja das Schlimme! Die Bullen schützen diese Typen auch noch!«
»Und was sollte man Ihrer Meinung nach tun?«, fragte Annika sanft.
»Die ganzen Scheißer alle rausschmeißen. Sie in den Urwald zurückschicken, Teufel nochmal. Schließlich sind sie eh alle nur Affen.«
Annika lächelte.
»Es fällt mir etwas schwer, Ihre Ansichten zu teilen, denn ich bin selbst Negerin«, sagte sie.
Der Mann am anderen Ende der Leitung sagte nichts mehr. Anne Snapphane hörte auf zu schreiben und sah sie erstaunt an, während es Annika schwer fiel, ernst zu bleiben.
»Ich will mit wem anders reden«, sagte der Rassist, als er sich wieder gefasst hatte.
»Tut mir Leid, aber hier gibt es niemand anders«, erwiderte Annika.
»Mit was für einem Idioten redest du denn da?«, fragte Anne Snapphane.
»Doch, klar«, sagte der Mann, »ich hör doch eine Tussi.«
»Ach so, ja, das ist Anne. Sie ist Koreanerin. Warten Sie einen Moment, dann verbinde ich Sie«, meinte Annika.
»Nee, verdammt«, knurrte der Mann und legte auf.
»Was für bescheuerte Leute es doch gibt«, stöhnte Annika. »Koreanerin, vielen Dank«, sagte Anne Snapphane. »So hübsch werde ich nie.«
Sie zog an ihren dünnen, hellen Haarsträhnen und umfasste mit festem Griff ihren obersten Rettungsring.
»Du bist nicht dick«, beschwichtigte Annika sie und stand auf, um sich einen Kaffee zu holen.
»Lieber dünn und reich als fett und arm«, meinte Anne.
Es klingelte wieder, Annika nahm den Hörer im Stehen ab.
»Also, kann man anonym bleiben?«
Es war die Stimme eines verschreckten jungen Mädchens.
»Ja, natürlich«, versicherte Annika. »Worum geht es denn?«
»Ja, also, dieser Fernsehtyp, also, dieser Moderator oder so …«
Sie nannte einen der populärsten und angesehensten Fernsehjournalisten Schwedens.
»Ja, und?«, fragte Annika nach.
»Er zieht sich immer Frauenkleider an und fummelt an kleinen Mädchen herum.«
Annika schüttelte den Kopf und erinnerte sich plötzlich, dass sie das schon einmal gehört hatte.
»Man darf sich in diesem Land anziehen, wie man will«, gab sie zu bedenken.
»Er geht auch in komische Klubs.«
»Außerdem genießen wir Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit und Versammlungsfreiheit«, fuhr Annika fort und wurde langsam ärgerlich.
Das Mädchen in der Leitung hatte den Faden verloren.
»Ach so, über so was würden Sie also nicht schreiben?«
»Hat der Mann etwas Ungesetzliches getan?«
»Nöö …«
»Herumfummeln, sagen Sie, heißt das, dass er jemandem Gewalt angetan hat?«
»Nee, gar nicht, die wollten ja …«
»Hat er mit öffentlichen Geldern Sex gekauft?«
Das Mädchen war verwirrt.
»Was heißt das?«
Annika atmete tief durch.
»Bezahlt er Huren mit Steuergeldern?«
»Das weiß ich nicht …«
Annika dankte für den Tipp und beendete das
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