Studio 6
Gespräch.
»Du hast Recht«, warf sie Anne zu, »es ist der Abend der Verrückten.« Das Idiotentelefon klingelte ein drittes Mal, und Annika griff sich den Hörer.
»Guten Abend, ich heiße Roger Sundström und wohne in Piteå«, sagte der Mann. »Hätten Sie einen Moment Zeit?«
Annika setzte sich, so erstaunt war sie. Ein höflicher Verrückter!
»Ich habe Zeit«, antwortete sie. »Worum geht es denn?«
»Ja, also«, begann der Mann im breitesten norrländischen Dialekt, »es geht um den Minister, Christer Lundgren. Im Radio, im Studio 6, behaupten sie, dass er in diesem Pornoklub in Stockholm gewesen sei, aber das stimmt nicht.«
Annika wurde hellwach, etwas in der Stimme des Mannes veranlasste sie, ihn ernst zu nehmen. Unter der Computertastatur fand sie einen Stift.
»Erzählen Sie«, ermunterte sie ihn. »Warum glauben Sie das?«
»Ja, also«, sagte der Mann wieder, »im Juli waren wir im Urlaub auf Mallorca, die ganze Familie. Das war etwas dumm, denn es war in Schweden wärmer als in Spanien, aber das konnten wir ja nicht wissen, als wir – na ja, jedenfalls waren wir auf dem Weg nach Hause nach Piteå, und wir hatten von Arlanda nach Hause Transwede gebucht, denn das ist ein wenig billiger …«
Im Hintergrund lachte ein Kind, Annika hörte eine Frau singen.
»Und weiter?«, fragte sie.
»Und da sahen wir den Minister«, sagte Roger Sundström. »Er war zur selben Zeit auf dem Flughafen wie wir.«
»Wann?«, fragte Annika.
»Am Freitag, den 27. Juli, um zwanzig Uhr fünf.«
»Wie können Sie die Uhrzeit so genau wissen?«
»Sie steht auf dem Flugticket.«
Natürlich!
»Aber warum glauben Sie, dass der Minister nicht in dem Pornoklub war? Die Rechnung, von der in Studio 6 die Rede war, ist ja am folgenden Morgen um halb fünf quittiert worden. Eine Nachbarin hat ihn an der Tür getroffen.«
»Aber er war zu der Zeit nicht in Stockholm.«
»Woher wissen Sie das?«
»Er ist mit dem Flugzeug geflogen. Wir haben ihn am Check-in-Schalter gesehen. Er hatte eine Aktentasche und eine kleine Reisetasche dabei.«
Annika bekam eine Gänsehaut, das hier konnte von Bedeutung sein. Trotzdem war sie noch misstrauisch.
»Warum haben Sie sich den Minister denn so genau angeschaut? Und wie kommt es, dass Sie ihn überhaupt erkannt haben?«
Das Kind im Hintergrund fing an zu singen. Roger Sundström lachte etwas peinlich berührt.
»Ja, also«, sagte er, »ich habe versucht ihn anzusprechen, aber er war so schrecklich gestresst. Ich glaube, er hat mich nicht einmal bemerkt.«
»Gestresst?«, hakte Annika nach. »Inwiefern?«
»Er war ganz verschwitzt, und seine Hände zitterten.«
»An dem Tag war es wirklich heiß, ich habe auch geschwitzt«, meinte Annika.
Roger Sundström antwortete geduldig.
»Ja, aber er sah nicht so aus wie sonst. Er hatte so einen starren Blick.«
Annikas Aufregung ließ nach, Roger Sundström war trotz allem ein Verrückter.
»Was heißt das, starr?«
Der Mann bemühte sich, genau nachzudenken.
»Er war so verspannt, sonst ist er immer so souverän und locker.«
»Kennen Sie ihn denn?«, fragte Annika verwundert.
»Christer ist mit meiner Cousine Anna-Lena verheiratet«, erklärte Roger Sundström. »Sie wohnen irgendwo in Luleå, ihre Zwillinge sind genauso alt wie unsere Kajsa.
Nun treffen wir sie wirklich nicht oft, das letzte Mal, glaube ich, auf der Beerdigung meines Großvaters, aber Christer sieht wirklich nicht immer so aus. Nicht einmal auf Beerdigungen …«
Er schwieg, er merkte, dass Annika ihm nicht glaubte.
Annika wusste weder aus noch ein, entschied aber fürs Erste, dass der Mann die Wahrheit sagte. Wenigstens glaubte sie selbst, was er erzählte.
»Haben Sie ihn auch im Flugzeug gesehen?«
Roger Sundström zögerte.
»Es war ein recht großes Flugzeug, und es war ziemlich voll. Ich glaube nicht, dass ich ihn gesehen habe.«
»Kann er nicht später am Abend nach Stockholm zurückgeflogen sein?«
Der Mann am anderen Ende begann an sich selbst zu zweifeln.
»Das weiß ich nicht«, meinte er. »Das könnte er vielleicht getan haben. Ich weiß nicht, wann das letzte Flugzeug geht.«
Annika schloss die Augen und dachte an die Informationen in Studio 6 und daran, ob jene Zehntausende von Lobbyisten in Stockholm vielleicht Filialen in Piteå hatten.
»Ich möchte Sie noch etwas fragen, Roger«, sagte sie, »und ich möchte, dass Sie mir ganz aufrichtig antworten.
Es ist ungeheuer wichtig.«
»Ja, was denn?«
Annika spürte Misstrauen und
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