Studio 6
doch an«, meinte Annika nur, drückte die Tür auf und ging.
In der Redaktion war es totenstill. Der Moderator vom Studio 6 echote aus den verschiedenen Lautsprechern im Großraumbüro, alle Journalisten der Zeitung saßen vornübergebeugt und sogen die Botschaft auf.
Annika sank vorsichtig auf ihren Platz.
»Worum geht’s denn?«, flüsterte sie Anne Snapphane zu.
Anne beugte sich über den Tisch.
»Sie haben die Rechnung gefunden«, sagte sie leise.
»Der Minister war in der Nacht, in der Josefine ermordet wurde, in dem Pornoklub. Eine halbe Stunde vor ihrem Tod hat sie seine Rechnung quittiert.«
Annika wurde blass.
»Mein Gott!«
»Es passt alles zusammen. Christer Lundgren hat am Freitag, dem 27. Juli, hier in Stockholm an einem großen Kongress mit deutschen Sozialdemokraten und Gewerkschaftsvertretern teilgenommen. Er sprach über internationalen Handel und Zusammenarbeit. Danach hat er die Deutschen zu einer ordentlichen Kneipenrunde eingeladen.«
»Also ist er nur ein mieser Freier«, stellte Annika fest.
»Das ist noch nicht alles. Studio 6 hat offenbar die Abrechnung gefunden. Die Deutschen stehen mit hinten auf der Quittung.«
Annika war entsetzt.
»Ist er schon zurückgetreten?«
»Glaubst du, dass er das tun wird?«, fragte Anne Snapphane.
»Kommt dir die Geschichte nicht bekannt vor?«, fragte Annika. »Sozi auf Kosten des Steuerzahlers im Pornoklub?«
Ein Mann aus der Korrekturabteilung zischte zu ihnen hinüber.
Annika setzte sich vor ihr Radio und drehte die Lautstärke auf.
»Im Archiv des Außenministeriums hat unser Reporter die entscheidende Quittung aus dem Pornoklub gefunden.
Aber zu diesem Zeitpunkt war die Polizei dem Minister bereits auf die Spur gekommen.«
In der Stimme des Mannes schwang unterdrückter Triumph mit. Er nahm Anlauf, sprach langsam und mit Grabesstimme.
»Es gab … nämlich … eine Zeugin.«
Es folgte eine Einspielung, die klang, als würde sich der Reporter in einem großen, leeren Raum befinden. Annika bekam eine Gänsehaut.
»Ich stehe im Treppenhaus zur heimlichen Wohnung des Außenhandelsministers Christer Lundgren in Stockholm«, flüsterte der Reporter erregt. »Bis vor wenigen Tagen wusste noch niemand von dieser Wohnung, nicht einmal seine Pressesprecherin Karina Björnlund. Doch mit einem hat der Minister nicht gerechnet: mit seinen Nachbarn.«
Jetzt waren Geräusche zu hören, Schuhe, die über eine sandige Marmortreppe gingen.
»Ich bin auf dem Weg zu einer Frau, die der Schlüssel zum Mord an der Stripperin Josefine Liljeberg sein wird«, keuchte der Reporter.
Offenbar streikt der Fahrstuhl immer noch, stellte Annika fest.
»Sie heißt Elna Svensson, und ihre Gewohnheiten am frühen Morgen und ihre messerscharfe Beobachtungsgabe überführten den Minister.«
Eine Klingel war zu hören. Annika erkannte sie. Er war immer noch in der Sankt-Göransgatan 64. Die Tür wurde geöffnet.
»Er kam herein, als Jesper und ich auf dem Weg nach draußen waren«, sagte Elna Svensson.
Annika erkannte die nörgelige Stimme sofort: Es war die dicke Frau mit dem Hund.
»Jesper will immer im Park spielen, ehe ich meinen Morgenkaffee trinke. Kaffee und Hefezopf, das ist mein Frühstück …«
»Und an diesem Tag trafen Sie den Außenhandelsminister Christer Lundgren, als sie rausgingen?«
»Ja, das habe ich doch schon gesagt!«
»Und er war auf dem Weg hinein?«
»Er kam rein und sah unbeherrscht aus. Er ist fast auf Jesper getreten und hat auch nicht um Verzeihung gebeten.«
Unbeherrscht? Annika wunderte sich und schrieb das Wort auf ihren Notizblock.
»Und wann war das?«
»Ich stehe immer um fünf Uhr auf, Werktag wie Sonntag. Das war kurz danach.«
»Haben Sie denn irgendetwas Ungewöhnliches im Park bemerkt?«
Die Frau wurde nervös.
»Überhaupt nicht. Gar nichts. Auch Jesper nicht. Er hat gemacht, was er machen musste, und dann gingen wir wieder hinein.«
Nun war der Moderator wieder an der Reihe, und er hatte auch diesmal wieder einen Experten bei sich. Sie sprachen eine Weile darüber, inwiefern es den Wahlkampf, die Zukunft der Sozialdemokraten und die Entwicklung der Demokratie beeinflussen würde, wenn der Minister nun zurückträte. An einem Abend wie diesem war für Studio 6 keine Frage zu groß.
»Mann, das ärgert mich«, brummte Anne Snapphane.
»Was denn?«, fragte Annika.
»Dass ausgerechnet die diese verdammte Quittung finden müssen. Warum bin denn nicht ich zum Außenministerium gegangen und habe danach
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