Studio 6
putzte sich die Nase.
»Sie will nichts mehr von mir wissen, sie nennt mich eine Hure. Und die ganze Verwandtschaft steht auf ihrer Seite.«
Annika stand auf, ging in die Küche und holte zwei Gläser Wasser. Das eine gab sie Patricia.
»Warum arbeitest du denn da?«
»Joachim findet, dass ich an der Bar gute Arbeit mache«, erklärte Patricia trotzig. »Und ich verdiene viel Geld, jeden Monat lege ich zehntausend zurück. Wenn ich genug habe, werde ich einen Laden aufmachen. Ich weiß schon, wie er heißen soll. Der Kristall. Ich habe einiges von Joachim gelernt und mich selbst ein wenig umgeschaut. Der Name ist noch frei. Ich werde Tarotkarten verkaufen und die Sterne beobachten, den Menschen helfen, den richtigen Weg zu finden …«
»Du hast doch das Bild von dem Minister gesehen, war er einer der Typen im Klub?«, unterbrach Annika sie.
Patricia zuckte mit den Schultern.
»Die sehen doch alle gleich aus.«
Die Antwort kam Annika bekannt vor, die hatte sie schon einmal gehört. Sie betrachtete die Frau auf dem Sofa. Wahrscheinlich vermied sie es überhaupt, sich die Männer anzusehen.
»Hat die Polizei dich das auch schon gefragt?«
»Natürlich hat sie das. Sie haben alles eine Million Mal gefragt.«
»Was zum Beispiel?«
Patricia erhob sich ärgerlich.
»Tausend Sachen. Jetzt bin ich müde. Gute Nacht.«
Sie schloss die Tür zum Mädchenzimmer leise hinter sich.
Achtzehn Jahre, elf Monate und fünf Tage
Wir wissen nicht, wohin unser Weg führt. Die Wahrheit, die sich hinter den Wolken befand, ist ins Weltall verschwunden. Ich erkenne sie nicht mehr und kann nicht einmal mehr ihre Nähe ahnen.
Er weint über die Leere. Mein Gefühl ist ablehnend und kalt. Ich ertrage keine Berührung, hin abgestumpft, steril.
Die Verlorenheit gehört zum Scheitern. Der Wille, der entweder zu stark oder zu schwach ist, die Liebe, die entweder zu fordernd oder zu blass ist.
Ich kann nicht mehr zurück.
Wir sind, trotz allem,
das Wichtigste, das es gibt,
füreinander.
DIENSTAG, 7. AUGUST
»Sie muss weg«, sagte der Erste.
»Wie werden wir sie los?«, fragte der Zweite.
»Sollen wir sie erschießen?«, fragte der Dritte.
Die Männer von Studio 6 saßen an ihrem Küchentisch und diskutierten. Sie durfte nicht länger bei der Zeitung bleiben, so viel stand fest.
»Sie haben mich nicht gefragt«, rief Annika.
Sie murmelten weiter am Tisch, und Annika konnte nichts mehr verstehen.
»Hören Sie«, rief sie. »Ich will vielleicht gar nicht mitkommen! Ich will nicht nach Harpsund fahren!«
»Willst du frühstücken?«
Annika schlug die Augen auf und starrte Patricia an.
»Was?«
Patricia schlug die Hand vor den Mund.
»Oh, entschuldige, du hast geschlafen. Ich dachte … du hast geredet. Du musst geträumt haben.«
Annika schloss die Augen und strich sich übers Haar.
»Total wirr«, sagte sie.
»Von Harpsund?«
Annika stand auf, zog ihren Morgenrock an und schlurfte zur Toilette hinunter. Sie kam gerade zurück, als Patricia den Kaffee eingoss.
»Schläfst du unruhig?«, fragte Patricia.
Annika setzte sich und gähnte.
»Heute fällt die Entscheidung«, erklärte sie.
»Ich glaube, dass du bleiben darfst«, meinte Patricia und lächelte.
Annika dachte nach.
»Es gibt eine kleine Chance«, bestätigte sie. »Ich bin Mitglied im Schwedischen Journalistenverband, damit habe ich die Gewerkschaft auf meiner Seite. Auch wenn sich die Leitung der Zeitung von Studio 6 hat beeindrucken lassen, wird der Journalistenverband doch etwas anderes sagen.«
Sie nahm einen Bissen Hefezopf, und ihre Miene hellte sich auf.
»Genau, so kann es gehen«, sagte sie. »Möglich, dass die Chefs mich loswerden wollen, denn die sind auf dem besten Weg, die Kontrolle zu verlieren. Aber die Gewerkschaft pflegt eine viel menschlichere Sicht des Journalismus, die werden für mich kämpfen.«
»Siehst du«, sagte Patricia, und diesmal erwiderte Annika ihr Lächeln.
Es hatte aufgehört zu regnen, dennoch füllte der erste Atemzug seine Lungen mit Feuchtigkeit. Der Nebel war so dicht, dass er seinen Leihwagen kaum erkennen konnte.
Er ließ die Tür zufallen und ging über den knirschenden Kies. Die Geräusche klangen wie von Watte gedämpft, und er fuhr mit den Händen durch die Nebelschleier. Sie tanzten.
Er ging ums Haus herum zur Rückseite. Keiner konnte ahnen, dass der See mit seinen berühmten Ruderbooten nur wenige hundert Meter entfernt im Wald ruhte. Ihm war klar geworden, dass der Nebel sich im Laufe des
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