Studio 6
sie war unruhig.
Warum nahm Christer Lundgren nicht an seiner eigenen Pressekonferenz teil? Wieso teilte der Ministerpräsident seinen Entschluss mit und nicht er selbst? Wollte er nicht zurücktreten? Oder meinten die Wahlstrategen, dass er nicht das Gesicht wahren würde? Vielleicht beides, dachte Annika. Aber wie man es auch drehte und wendete, sah es doch so aus, als hätten sie etwas zu verbergen.
Sie ging zum Schwarzen Brett, dort stand, dass die Personalkonferenz für zehn Uhr anberaumt war. Sie müsste also bald vorbei sein. Sie hatte das Gefühl, schon wieder aufs Klo zu müssen.
Als sie herauskam, sah sie Bertil Strand am Fotodesk stehen und mit Bild-Pelle sprechen. Sie wusste, dass der Fotografin der Gewerkschaftsleitung saß und an den Personaldiskussionen teilnahm. Ohne weiter nachzudenken, lief sie zu ihm hin.
»Was haben Sie entschieden?«, fragte sie atemlos.
Bertil Strand drehte sich langsam um.
»Die Gewerkschaftsleitung ist sich völlig einig«, antwortete er in neutralem Tonfall. »Wir finden, dass Sie sofort gehen sollten. Ihre verantwortungslose Art, sich Menschen zu nähern, hat die Glaubwürdigkeit der ganzen Zeitung in Mitleidenschaft gezogen.«
Annika begriff nicht.
»Aber«, fuhr sie fort, »kann ich denn bleiben?«
Seine Augen verengten sich, die Stimme wurde eisig.
»Wir finden, dass man Sie auf der Stelle hinauswerfen sollte.«
Der Raum begann zu schwanken, das Blut wich ihr aus dem Gesicht, sie müsste sich auf den Fototisch aufstützen.
»Hinauswerfen?«, fragte sie nach.
Bertil Strand drehte sich wieder um, sie ließ den Tisch los, Himmel, weg von hier, wo, zum Teufel, ist die Tür, sie müsste brechen. Die Redaktion hob und senkte sich, die Wände bewegten sich in Wellen.
Dann aber wurde sie wütend.
Jetzt ist sowieso alles egal, dachte sie. Es ist aus. Nicht ich habe mich hier widerwärtig benommen. Es ist nicht mein Fehler, dass die Zeitung den Bach runtergeht. Wie können die nur so etwas behaupten, meine eigenen Gewerkschaftsvertreter!
»Was erlauben Sie sich eigentlich?«, fragte sie Bertil Strand.
Der Rücken des Mannes erstarrte.
»Leute wie ich bezahlen Ihre feinen Essen mit der Gewerkschaftsleitung«, schimpfte sie. »Sie sollen mich hier vertreten. Wie können Sie mich auf diese Weise fallen lassen?«
Er drehte sich wieder um.
»Sie sind kein ordentliches Mitglied in der Gewerkschaft«, erwiderte er kurz angebunden.
»Nein, weil ich nicht fest angestellt bin. Aber ich bezahle exakt dieselben Beiträge wie alle anderen auch. Wieso habe ich dann nicht die gleichen Rechte? Und wie kann die Gewerkschaftsvertretung bestimmen, dass eines ihrer Mitglieder rausgeworfen wird? Sind Sie nicht ganz bei Trost?«
»Sie sollten jetzt nichts sagen, was Sie später bereuen«, erwiderte der Fotograf und ließ den Blick über ihren Kopf hinwegschweifen.
Sie machte einen großen Schritt auf ihn zu, und er wich erschrocken zurück.
»Sie sind es, der aufpassen sollte, was er sagt«, zischte sie leise. »Ich habe einen Fehler gemacht, aber der ist nicht so groß wie der, den Sie jetzt gerade begehen.«
Aus den Augenwinkeln sah sie Anders Schyman, der mit einer Kaffeetasse auf sein Aquarium zusteuerte. Sie richtete den Blick fest auf seinen Kopf und marschierte los. Computer, Menschen, Regale, Pflanzen, alles flog wie Stückwerk vorbei, bis sie vor ihm stand.
»Werden Sie mich rausschmeißen?«, fragte sie mit viel zu greller Stimme.
Der Ressortchef schob sie in sein Zimmer und zog die Gardinen vor. Sie ließ sich auf das Tabaksofa fallen und starrte ihn an.
»Natürlich nicht«, erwiderte er.
»Die Gewerkschaft will es aber so haben«, behauptete sie mit zitternder Stimme. Fang jetzt bloß nicht an zu weinen, dachte sie.
Anders Schyman nickte und setzte sich neben sie auf das Sofa.
»Ich werde aus den Gewerkschaftsvertretern der Journalisten nicht schlau«, konstatierte er. »Viele von ihnen scheinen nur deshalb in der Leitung zu sein, um sich wichtig zu machen. Ihre Mitglieder sind ihnen völlig egal, sie wollen nur Macht.«
Sie schaute ihn misstrauisch an.
»Warum erzählen Sie mir das?«
Er sah sie ruhig an.
»Weil es sich in diesem Fall so verhält.«
Sie blinzelte.
»Leider haben wir im Moment keine freie Stelle für Sie«, sagte Anders Schyman. »Wir können nicht alle, die gut sind, einstellen. In diesem Herbst gab es nur eine Vakanz.«
»Und die ging an Carl Wennergren«, vermutete Annika.
»Ja«, bestätigte der Ressortchef und schaute zu
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