Studio 6
Anne Snapphane redete immer noch mit ihr, obwohl sie rausgeschmissen worden war. Vielleicht betrachtete auch Berit Hamrin sie immer noch als Kollegin. Wenn sie es nicht probierte, würde sie nie eine Antwort bekommen.
Sie wählte resolut die Nummer der Redaktion des
Abendblatts.
Als sie nach Berit fragte, machte sie ihre Stimme etwas heller, denn sie wollte nicht, dass die Telefonistin sie wieder erkannte.
»Annika, wie schön, von dir zu hören«, rief Berit herz lich. »Wie geht es dir?«
Ihr Herz schlug wieder langsamer.
»Danke, gut. Ich war ein paar Wochen in der Türkei, das war unglaublich interessant.«
»Hast du eine Reportage über die Kurden gemacht?«
Berit glaubte, sie sei noch Journalistin.
»Nein, bloß Urlaub. Du, ich hab eine Frage zur IB.
Hättest du Zeit, dich mit mir zu treffen, so dass wir etwas reden können?«
Wenn Berit erstaunt war, dann ließ sie es sich jedenfalls nicht anmerken.
»Ja, natürlich, wann denn?«
»Was machst du heute Abend?«
Sie verabredeten sich in einer halben Stunde in der siffigen Pizzeria.
Patricia kam zur Tür herein. Sie trug den Trainingsanzug und hatte ein Handtuch um die Haare gebunden.
»Ich gehe noch kurz weg«, sagte Annika und stand auf.
»Ich habe etwas vergessen«, meinte Patricia. »Sven hat gesagt, dass er ein paar Tage bleibt.«
Annika ging zur Garderobe.
»Arbeitest du heute Abend?«, fragte sie, während sie ihren Mantel anzog.
»Ja, wieso?«
Es schüttete wie aus Eimern, und der Regen ließ die schmutzigen Fenster des Restaurants in der Dunkelheit wie Strass funkeln. Berit war schon da. Annikas Schirm war im Wind umgeschlagen, sie stolperte durch die Tür, völlig durchnässt.
»Schön, dich zu sehen«, sagte Berit und lächelte. »Du siehst gut aus.«
Annika lachte und befreite sich aus dem nassen Mantel.
»Es hat einfach Wunder gewirkt, beim
Abendblatt
aufzuhören. Wie steht es mit der Zeitung?«
Berit stöhnte.
»Es ist ziemlich chaotisch. Anders Schyman versucht ein paar Sachen zu ändern, aber die übrige Redaktionsleitung arbeitet ganz schön gegen ihn.«
Annika schüttelte ihr nasses Haar und strich es zurück.
»Inwiefern?« »Schyman will neue Arbeitsabläufe einführen, regelmäßige Besprechungen und Klausurtagungen über die Ausrichtung der Zeitung durchsetzen.«
Annika riss die Augen auf.
»Dann ist mir einiges klar«, sagte sie. »Und die anderen schreien einhellig, dass er versucht, aus dem
Abendblatt
eine Fernsehsendung zu machen, nicht wahr?«
Berit nickte und lächelte.
»So ist es. Du hast in der kurzen Zeit einiges über das Innenleben der Zeitung gelernt.«
Ein Kellner nahm ihre magere Bestellung auf, Kaffee und Mineralwasser. Säuerlich ging er wieder.
»Wie schlimm steht es um die Sozis?«, fragte Annika.
»Grauslich«, erwiderte Berit. »Sie sind seit den Meinungsumfragen im Frühjahr von 54 Prozent auf unter 35 Prozent gefallen.«
»Liegt das nun an der IB-Affäre oder an der Pornoklubaffäre?«
»Wahrscheinlich an beidem«, meinte Berit.
Glas und Tasse landeten jeweils mit einem unnötigen kleinen Knall auf dem Tisch.
»Erinnerst du dich an unser Gespräch über das Archiv der IBP«, fragte Annika, als der Kellner verschwunden war. »Klar«, sagte Berit, »wieso?«
»Du meintest, dass das Archiv des Außenministeriums immer noch im Original existiert. Wie kamst du eigentlich darauf?«, fragte Annika und nippte an ihrem Mineralwasser.
Berit dachte nach, ehe sie antwortete.
»Aus verschiedenen Gründen«, erklärte sie. »Es sind auch früher schon Ansichtsüberwachungen durchgeführt worden, allerdings war das während des Krieges und wurde nach Beendigung des Krieges verboten. Viel später sagte dann Verteidigungsminister Sven Andersson, die Akten aus den Kriegsjahren seien verschwunden. In Wirklichkeit aber lagen sie die ganze Zeit im Archiv des Generalstabs unter Fst/Säk. Das wurde vor ein paar Jahren bekannt.«
»Die Sozialdemokraten haben also auch früher schon einmal in Bezug auf verschwundene Archive gelogen«, befand Annika.
»Genau. Ein Jahr später behauptete Sven Andersson, das Archiv der IB sei bereits 1969 vernichtet worden. Die letzte Information darüber ist, dass es 1973 kurz nach dem Auffliegen der IB abgefackelt wurde. Dennoch ist die Vernichtung von Archiven niemals festgehalten worden, weder im Inlands- noch im Auslandsbereich.«
»Soll das heißen, dass man Makulierungen dokumentierte?«, fragte Annika.
Berit trank von ihrem Kaffee und zog eine Grimasse.
»Huh,
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